Los 1005

Marienleben
Deutsche Handschrift auf Papier. 116 nn. Bl. 2 Spalten. 34-37 Zeilen

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45.000€ (US$ 47,872)

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Wertvolle Bücher
Auktionsdatum 10.10.2023

Lot 1005, Auction  122, Marienleben, Deutsche Handschrift auf Papier. 116 nn. Bl. 2 Spalten. 34-37 Zeilen

Eine bis dato unbekannte vollständige Handschrift mit dem Marienleben
Wie Jesus seine Jünger lehrt und "wie er urlaub von Marie seiner mueter nahm"

Marienleben. Deutsche Handschrift auf Papier. 116 (statt 118?) nn. Bl. 2 Spalten. 32-26 Zeilen. Schrift: Gotische Kursive (mit Schlaufen an den Oberlängen von b h k und l). Schriftraum: 21 x 15 cm. Format: Folio 26,4 x 19,3 cm. Mit 2 3-zeiligen Zierinitialen mit Federwerk, 1 großen und mehreren kleineren roten Lombarden zu Anfang sowie zahlreichen hochrechteckigen Großspatien für nicht ausgeführte Miniaturen. Rubrizierung, Kapitalstrichelung bis S. 20v und durchgehend vielzeilige rote Überschriften und Incipits. Schlichtes Pergament um 1770 (leicht angestaubt, bestoßen, ohne die Bindebänder) mit Rotschnitt. Südwestdeutschland letztes Viertel des 14. Jahrhunderts.
Umfangreiche, wohl vollständige spät-hochmittelalterliche Handschrift des 14. Jahrhunderts mit der Marienlegende, einer Erzählung des Lebens der Muttergottes Maria von deren Eltern, ihrer Geburt, Reinheit, ihrer Beschreibung, von ihrer Ehe mit Joseph, der Verkündigung, der Heimsuchung, der Geburt, Epiphanias und Passion Christi, von der Aussendung der Apostel und dem Marientod. Sehr saubere, gut leserliche kursive Schrift, vermutlich von einem einzigen Schreiber. Die Wasserzeichen sind nicht identifizierbar, ebensowenig die Lagenstruktur. An über 200 Stellen hat der Schreiber Platz frei gelassen für Deckfarbenminiaturen oder - warhrscheinlicher auf Papier: Federzeichnungen, immer zu Beginn eines neuen Textabschnittes. Die Merkmale der Schrift erlauben die Vermutung, dass die Handschrift im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden ist. Die Schriftsprache ist südwestdeutsch (oberrheinisch?) gefärbt. Je vorne und hinten fehlt mindestens ein Blatt (ggf. mit Titel und Schluss), ansonsten ist die Handschrift sehr gut erhalten. Die Zierinitialen auf Bl. 1r wurden wohl nachträglich hinzugefügt.

Ähnlichkeiten in der Ausführlichkeit, der Erzählstruktur und dem Umfang gibt es mit dem "Marienleben des Heinrich von St. Gallen", das allerdings bekanntermaßen später datiert und in sonst keiner Abhängigkeit steht. Insofern ist unsere Handschrift von ganz besonderes singulärer Bedeutung. In der ausgezeichneten Publikation des Hardo Hilg Das ›Marienleben‹ des Heinrich von St. Gallen. Mit einem Verzeichnis deutschsprachiger Prosamarienlegen bis etwa 1520 (München 1981) findet sich keine andere Handschrift, die mit der unsrigen vergleichbar wäre.

Die Handschrift enthält ein ausführliches, bislang unbekanntes Marienleben. Die unterschiedlichen biographischen Abschnitte des Lebens der Jungfrau Maria und ihrer Sippe werden nicht nur anhand der biblischen Angaben, sondern auch unter Verwendung zahlreicher weiteren Quellen, darunter der apocryphen Evangelien, ausführlich dargestellt. Als Quellen werden genannt: Hieronymus, Eusebius, Jacobus de Voragine, Remigius, Vita Pilati, Ambrosius, Eneas, Nicodemus, Anselmus, Addas Egeus (!) und andere. Die roten Überschriften der einzelnen Abschnitte richten sich oft direkt an das intendierte Publikum (Hie hort nu …, Nu hort wie …). Angesichts der vielen Textstellen, in denen der besondere Wert der Jungfräulichkeit hervorgehoben wird, ist zu vermuten, dass dieses Werk für eine Gemeinschaft frommer oder religiöser Frauen geschrieben wurde.
In ihrer Struktur und Umfang ist dieses ohne Verfassername überlieferte Marienleben einigermaßen mit dem um 1410 entstandenen Marienleben des Heinrich von Sankt Gallen vergleichbar. Während letzteres Marienleben mit theologischen Exkursen angereichert wurde, besticht das vorliegende Marienleben durch die Lebendigkeit der Darstellung, die klare Gliederung und die einfühlsame Sprache. Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden Marienleben ist unwahrscheinlich.

Marienlegenden sind zum größten Teil nicht kanonisch, d. h. sie speisen sich aus zahlreichen verschiedenen Quellen. Nach den vier Evangelisten erzählen vor allem apokryphe Schriften von den Geschehnissen im Leben der Gottesmutter wie etwa das Protevangelium des Jakobus. Da die Thematik sich seit dem Hochmittelalter jedoch immer größerer Beliebtheit erfreute, entstanden immer mehr Heiligenlegenden im 12., 13. und 14. Jahrhundert. Hier scheint es sich um eine für uns textlich nicht nachzuweisende, weitgehend eigenständige Kompilation zu handeln, die interessanterweise viele ihrer Quellen nennt, oft unter den in roter Tinte geschriebenen Kapitelüberschriften, die eine Zusammenfassung des Folgenden bringen. Dort steht etwa: "matheus schreibt", "lucas schreibt", "Als uns Johannes Lucas Marcy Matheus Eneas Nicodemus Anshelmus und Ambrosius schreibt", oder "Remigius der schreibt", "für Jeronimus zu Jacobus de fragine", also aus Remigius von Reims oder Legenda aurea des Jacobus de Voragine.

Berichtet wird über die Untaten des Herodes, den Bethlehemitischen Kindermord und das Treffen der Eltern Marias Anna und Joachim: "Hie hort man wie Herodes vier weiber nam und was er kunnd mit nin hett. Und wie der chyser Augustus zu chyser ward der vor gehaissen was Aclavianus" (1r) "Hie hort nu von Anne und Joachym irem mann wie sie einander namen zu der ee [Ehe]. Als Maria im Tempel war, war sie 15 Jahre alte, da sprachen die Priester ...". "Hie hort nu wie Joachym Anna man starb und wie sie sie darnach ander man nam und was chind und geslacht sie dapey gewann" (5r).

Die Volkszählung und Marias Reise von und nach Jerusalem wird erwähnt sowie die Verkündigung durch den Engel Gabriel: "Da zach maria haym gen Nazareth mit den zarten siben mayden" (8r). "Hie hort nu wie in der zeit der engel Gabriel zu maria chom und ir trost und ser gab das sie got solt gepern" (8v). "Hie hort nu wie der engel Gabriel Maria die potschafft pracht und wie sie got in irem leib nach der menschait magt weise empfie[ng]" (9r).

Es folgt die Heimsuchung Marias bei Elisabeth: "Hie hort nu wie maria zu ihr mueme Elizabeth cham und was frewd sie mit einander hetten und wie Johes gotz tawffer ward geporn" [wie Johannes, der Täuffer Gottes, geboren wurde]" (10r) "Hie hort nu wie der engel zu Joseph cham und nam im all sein sorg und trost In wie daz er nit sult von marie gen" (11v).

Geburt Christi: "Hie hort nu wie ihus [Ihesus = Jesus] das lieb kind von maria der raynen maid ward geporn und wie es Joseph mit ir und mit dem chind ergi[ng]. lucas schreibt" (13r). "Hie ho nu wie maria und joseph gen bethlehem chomen als sie wollten dem romischen vogt durch gehorsam tun als er geschriben hett und wie sie mit herberg mochten gehab als ander'lewt und muste ziehen untter ain obdach" (14r). "Hie hort nu von dem geslacht [Geschlecht] und von dem stam [Stamm] da xpus [graece: Christus] von geporen ward etc." (15v) "Hie hort nu das vierd zaichn wie honig aus den lufften in die welt floß da got geporn ward von marie der raynen" (16v).

Die Verkündigung an die Hirten wird zusammengefasst: "Hie hort nu wie als hymelischer sich erstrewt und wie alle engel sunten lieplichen gesang und wie die hirten auf dem veld sich frewten do ins der engel chundet" (17r).

Das Gebot, dem Kaiser Augustus zu huldigen und wohl die Legende von dem aus dem Himmel gefallenenen Marienbild, einem Acheiropoieton: "Hie hort nu wie der grosse chayser Octavianus grossen gewalt erzaigt in aller welt und wie in die Römar musten an petten fur gott" (18r). "Hie hort nu ein land loit in Rewssen haißt Gabriel da vand man ein pild auf dem veld ligen et." (20v).

Epiphanias: "Hie hort nu von dem geslacht da die heilige drey kunig von geporn sind worden und wie sie got ir opffer prachten und wie es in mit herodes ergie[ng] und was auch an dem selbigen tag zaichen sind geschehen als es hernach stet geschribn gantzlich" (21v).

Darbringung und Kindermord, wie Herodes nach Rom kam und die Kinder tötete und es Gott an ihm rächete: "Hie hort nu wie maria und joseph ir kind zu dem tempel truegen …" (24v). "Hie hort nu wie Herodes von Rom chom und wie er die kind tottet und wie das got an im roch und wie es im darnach gie[ng] als hernach geschrien stet" (25r).

Flucht nach Ägypten: "Hie hort nu wie herodes von Rom chom und wie es Joseph und Maria mit ihs irm [Jesus ihrem] kind gieng da sie furn in egippten lant und wie es in auf dem weg und in egipten lant ergie[ng]" (25v). "Da gieng maria und joseph in einen schon garten und erpat ins der wirt uns sein hausfraw als sie pest kunden [in einen schönen Garten und erbaten die Wirtsleute erbaten, die das beste taten, was sie konnten ]" (28v). "Hie hort nu wie der wirt und die wirtin grosse frewd gennen Als Joseph und Maria mit ire kind ihn wider chamen auf Egypten lannd etc." (34v), "Hie hort nu wie ihus mit Johseph und seiner mueter marie wider haym gey Nazareth gie[gen]" (36v).
Ende des Herodes: "Hie hort nu wie es Herodes ergie und wie er sein end nam und wie sein su Archilaus zu kunig ward" (32r).

Taufe Christi und Tod des Vaters Joseph: "Hie hort nu wie Joseph starb und wie in maria clagt Remigius der schreibt" (37v). "Hie hort nu wie es pilato darnach ergie und wie er in fromde land geschict ward" (38v). "Hie hort nu wie Jhus von Johannes Baptista ward getawft [getauft] und wie es im nach der tawff in der wuest ergie und wie er sein Junger darnach an sich nam und darmit aus in die land predigen gie und was zaichen er da tet. Johannes Bapta" (42r).

Von der Sünderin Maria Magdalena und Judas Ischariot: "Hie hort nu von Maria Magdalena wie die von yeren sunden ward pechert [bekehrt] und wie es ir und lazarus und martha mit ihus ergie Matheus schreibt" (45r), "Hie hort nu von Judas leben wie er wardt geporn und wie er von erst zu Jesus chom und wie es im darnach ergie" (46v).

Der Tod Johannes des Täufers am Hofe des Herodes Antipas: "Hie hort nu wie Johannes Bapta von Herodes wardt enthaubt Marcus Schreibt" (49v). "Hie hort nu wie herodes hies sand Johannis sein heiliges haubt abslagen" (50v).

Die Auferweckung des Lazarus: "Hie hort wie ihus lazarum erkucket [erblickte im Sinne von erweckte?] von dem tod der drey tag in der erd was gelegen" (52r).

Leidensgeschichte Christi: "Hie hort nu von der mart[er] xpi und hebt sich an der passion unseres hern und sagt von seiner marter gantz und gar und gerecht als uns Johannes Lucas Marcy Matheus Eneas Nicodemus Anshelmus und Ambrosius schreibt" (55r). Verrat und Judastod: "Hie hort nu wie es ihn darnach mit den falschen Juden ergie[ng]" (61r). "Judas und die 30 Silberlinge: "Hie hort wo die pfening hin chamen die Judas untter die fuetz warff" (68r).

Kreuzigung, Christus im Limbus und Auferstehung: "Hie hort nu wie ihus an das crewcz ward geslagen (71v), "Hie hort nu wie ihus die hell prach und die seinen daraus nahm [die Hölle zerbrach und die Gottgefälligen erlöste]" (75v), "Nu hort von der lobleichen urstend [Auferstehung] ihu xpi als uns die Ewangelisten sagend" (76v). "Hie hort wie ihsus christus nach seiner heiligen urstend [Auferstehung] Sand Jacobum erschain" (37v).

Grablegung durch Joseph von Arimathäa und Himmelfahrt: "Hie hort nu wie es den Juden mit Joseph von Aromathia und mit den Huttern [Hütern am Grabe] ergie[ng] nach der urstend [Auferstehung] Jesu Christi etc." (69r). "Dicz ist nu von unsers Herren auffart als er gey [gen = in den] hymel fur und wie er sein Junger lert was sie darnach tuen sollten und wie er urlaub von Marie seiner mueter nam Marcus und Matheus schreibend" (81v).

Maria mit den Jüngern zu Pfingsten, Erscheinung des Heiligen Geistes und Aussendung der Apostel: "Hie hort nu wie ihsus seinen Jungern nach seiner Auffahrt den Heiligen geyst sand und wie sie darnach begunden zu leben" (82v), "Hie hort nu wie Joseph von Aromathia und den Juden nach Jhsus Auffart mit einander ergi[engen]" (83v), "Hie hort nu wie Nicodemus den Juden riet wen sie nach Joseph von Aromathia sollten sennten. Als hernach geschriben stet" (84v), "Hie hort nu wie Annas und Cayphas chomen zu Joseph und fragten in wie er aus dem karcher chomen war do sagt In Joseph wie es im ergangen war" (85v), "Hie hort nu wie pilatus einen poten gey Rom schicket" (96), "Hie hort nu wie die xij poten [Boten = Aposteln] von Maria urlaub nommen da sie aus in die welt predigen wollten gen und wie ir da geschach" (107r).

Marientod und Begräbnis und Aufnahme in den Himmel: "Hie hort nu von marie schiedung [Verscheiden der Maria] wie die nu in der czeit geyfur und wie yrem end was und wie die Apostall all zu ir chomen Et sie ir end nam und wie sie mit ir umb gingen und wie sie sey lobleich pegruben" (108r), "Wie nu Maria in seraphim den newnte chor chom" (116), "hort nu wie all heilige Maria auf zu sinte irs kinds tron und was frewd sie damit ir begiengen und wie sie von got und von der drinnaltichait [Dreieinigkeit = Trinität] ward empfangen und was er und genaden ir ward getan" (116r).

Und ausführlich Marie Erlebnisse im Himmel: "Es chom auch zu Marie der lieb Joachym und fand sey mit frewdn pis [bis] willechom unser kind in dem aygen kunigreich pis willichem fraw und kunigin und erlosarin aller welt und geschach. Grosse frewd da du unser kind würd wann wir und alles hymlisch her hat fewd von dir empfangen. Joseph ir gemahel lobt und ert Mariam mit grossen frewdn und sprach Maria kunigin: ich lob dich und deinen lieben Sun ihm du wurd mir enpfohln das ich deines leibs und dem cheusch hattan" (116v). Der Text endet auf Fol. 116v mit dem Schluss der Geschichte des Marienlebens, woraus sicherlich zu schließen ist, dass die Handschrift damit vollständig ist. Allenfalls fehlen weiße Blätter am Schluss. – Die erste Lage (Fol. 1-8) mit älter ergänztem Eckabriss (ohne Textverlust), leicht brüchigem Außensteg und vereinzelt etwas fleckig, das erste Blatt stärker gedunkelt und angestaubt, ebenso die letzten beiden Blätter (Fol. 115-116) gering fleckig, letztes Blatt mit Eckverlusten unten rechts und im Bug oben (auch hier ohne Textverlust) und verso etwas angeschmutzt, fleckig und mit kleinem Feuchtrand unten, insgesamt im ganzen Block jedoch von bemerkenswert gutem und frischem Zustand, abgesehen von unwesentlichen Fingerfleckchen oder unbedeutenden Gebrauchsspuren. Zur Provenienz: Die Handschrift stammt aus holländischem, dann deutschen Privatbesitz, Vorsatz mit einer einmontierten Beschreibung eines unidentifizierbaren Antiquariats sowie eines Ausschnitts aus einem gedruckten Auktionskatalog (wohl Sotheby's, 22 July 1935, lot 466).


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