Los 861

Rulman Merswin
(1307-1382)Rulman Merswin. Das Leben Jesu (Von der geistlichen Spur). Deutsche Handschrift auf Papier

Zuschlag
30.000€ (US$ 31,250)

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Lot 861, Auction  124, Rulman Merswin, Rulman Merswin. Das Leben Jesu (Von der geistlichen Spur). Deutsche Handschrift auf Papier

"Von der geistlichen Spur" - mit zwei Federzeichnungen in einem wohlerhaltenen Kopertband
Rulman Merswin. Das Leben Jesu ("Von der geistlichen Spur"). Deutsche Handschrift auf Papier. 2 Teile in 1 Band. 138 nn. Bl. 19-21 Zeilen. Schrift: Gotica Kursiva. Schriftraum: 11 x 7 cm. Format: 15,2 x 11 cm. Mit 2 Federzeichnungen in Sepia, eine in Rot koloriert. Flexibler Pergament-Kopertband d. Z. (abgegriffen, Deckel mit Fehlstellen, Einrissen, fleckig, Rücken mit alten Klebschildern) unter Verwendung eines Fragments einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert mit festem Kalbslederrückenstück. Schwaben um 1400.
Bedeutende, zweiteilige Handschrift mit Text des Rulman Merswin (1307-1382) über das Leben Jesu ("Von der geistlichen Spur") mit zwei zeitgenössischen Federzeichnungen in einem außergewöhnlich gut erhaltenen Kopertband der Zeit. Beide Teilen sind vermutlich von demselben Schreiber geschrieben, mit Ergänzungen einiger weiteren Schreiber. Nach den Merkmalen der Schrift ist die Handschrift um 1400 entstanden. Die Schriftsprache verweist auf Südwestdeutschland.

Die Handschrift wurde aus zwei, etwa gleichzeitig entstandenen Teilen zusammengesetzt:
Teil I:
Bl. 1r-105v: Rulman Merswin: "Leben Jesu" ("Von der geistlichen Spur").
Bl. 105r-105v: Gedicht "O du uzvließender brunne"
Bl. 106r-108v: Gedichte, u. a. "Mariengruß" (Bl. 106r), Gebet (Bl. 106v), "Die zwölf Räte Jesu Christi" (Bl. 108r). Bl. 107rv leer.
Teil II:
Bl. 109r-138v: Gebete und Gedichte, überwiegend dt., darunter "O du uzvliezender brunne" (Bl. 129r-129v, nach dieser Hs. ediert von G. Eis, Altgermanistische Beiträge, S. 138-142) und das Reimgebet "O menschait blos, O marter gros" (Bl. 130r).

Die mystischen und theologischen Schriften des Straßburger Kaufmanns Rulman Merswin erreichten ein breites, sowohl aus Geistlichen als auch aus Laien bestehendes Publikum, überwiegend in Süddeutschland. Merswin führte die Gemeinschaft der frommen "Gottesfreunde" in Straßburg an. Das Johanniterkloster, das er dort gründete, war ausgesprochen erfolgreich und wirkte weit über Straßburg hinaus.

Das Merswin zugeschriebene, in nur acht Handschriften überlieferte "Leben Jesu“ ist eine Nachschrift des Traktats "Von der geistlichen Spur". Die in Teil II der Handschrift überlieferten "O du uzvliezender brunne", "O menschait bloß, O marter groß" und der Mariengruß "Gott gruß dich Maria du hoher himel hort" (Bl. 106r) sind als kurze Reimgebete Teil einer Sammlung kürzerer und längerer Passionstrakte, Gedichte, Gebete und Lieder. Einige davon wurden von G. Eis herausgegeben und erläutert (s. Euphorion 53, 1959, S. 444-446 und FS Franz Rolf Schröder 1959, S. 99-100).

Die hier enthaltenen "Die zwölf räte Jesu Christi" (Bl. 108r) enthalten "Ratschläge Christi, die, in den Evangelien überliefert, jeder Mensch freiwillig befolgen und dadurch die höchste Stufe im mystischen Dreischritt, die Vollkommenheit, erreichen kann" (Hayer in 2VL, Bd. 10, Sp. 1643-1645), nach dieser Hs. gedruckt in Leuvense Bijdragen 52 (196), S. 156-168, hier S. 163, 166, (Nr. II).

Inhaltsreiche, bislang nur teilweise erschlossene, frühe Sammelhandschrift mit Werken der oberdeutschen Mystik aus der Zeit um 1400, mit Liedern, Gedichten und Reimgebeten ergänzt. Die Handschrift ist als Zeugnis der privaten Frömmigkeit des Erstbesitzers oder der Erstbesitzerin zu betrachten; sie ist wohl über einen längeren Zeitraum "gewachsen", bevor sie ihre aktuelle Zusammensetzung erreichte und in einem gut erhaltenen Kopertband gebunden wurde.

Die Federzeichnungen sind eingeschaltet auf Bl. 110v: Eine Darstellung der "Arma Christi", der Marterwerkzeuge der Passion wie Dornenkrone, Kreuznägel, Longinus-Lanze, Martersäule, Würfel, Zange und oben links der Kopf eines blutigen Lamms mit Kreuznimbus. Am Schluss auf Blatt 138r findet sich in einem doppelten Zirkelkreis die Darstellung eines Raben mit großem Schnabel und Kappe auf dem Kopf.

Besonders bemerkenswert ist der flexible Kopertband aus feinem Pergament, einem Fragment einer nur stellenweise leserlichen Handschrift des 14. Jahrhunderts mit einer Rückenverstärkung aus festem, dunkelbraunen Kalbsleder. Langstichheftung der Lagen mit dem Bindfaden auf der Außenseite des Buchrückens (ohne Bünde). In einem Kopertband werden die Lagen nicht auf Bünde genäht, die an den Einband befestigt werden, sondern direkt an den Buchrücken. Der Umschlag (Kopert) ist normalerweise aus Pergament und wird nach hinten so weit verlängert, dass die Klappe zum Schutz des Buchblocks bis auf die Vorderseite des Buches gezogen werden kann. Diese einfache Technik wurde im 15. Jahrhundert gelegentlich für kleinformatige Bücher verwendet, überwiegend in Süddeutschland. Der vorliegende Kopertband ist sehr gut erhalten. Dank der Rückenverstärkung aus festem Kalbsleder ist der Buchrücken nicht hohl geworden und so ist der Buchblock perfekt erhalten geblieben. – Kaum Fleckchen oder Läsuren, Kanten leicht brüchig. Provenienz: Aus der Kartause Buxheim (Besitzvermerk Cartusiae in Buxheim des 18. Jahrhunderts auf Bl. 1r.). Alte Buxheimer Signatur 564 auf dem Buchrücken (Etikett). Der flexible Kopertbanddeckel aus einer lateinischen Handschrift des frühen 14. Jahrhunderts mit breiter Klappe (wellig, knittrig) und mit nur noch auf den Innenseiten sichtbaren Schriftfragmenten sowie mit blauem Stempel des Heidelberger Germanisten Gerhard Eis (1908-1982) und dessen Inventarnummer Hs. 101. Eis hat das Werk teilediert: Gerhard Eis, Geistliche Lyrik des späten Mittelalters aus unbekannten Handschriften, in: Euphorion 53 (1959), S. 441-455; Derselbe, Mittelhochdeutsche Lieder und Sprüche, München 1967, S. 107; Derselbe, Zwei unbekannte Handschriften der Allegorie vom Seelenkloster, in: Gerhard Eis, Altgermanistische Beiträge zur geistlichen Gebrauchsliteratur. Aufsätze - Fragmentfunde - Miszellen, Bern/Frankfurt a. M. 1974, S. 145-150. Josef Werlin, Drei geistliche Traktate aus einer alemannischen Handschrift um 1400, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 110 (1962), S. 131-149. Waltraut Linder, Rulman Merswins 'Leben Jesu'. Untersuchungen und kritische Ausgabe des Textes auf Grund einer neugefundenen Handschrift, Diss. (masch.) Heidelberg 1960, S. 9-39 (zur Hs.). Beschreibung der Handschrift im Handschriftenzensus: Nr. 18474.

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