Memento-Mori-Klappbrief. "Ein Brief an mich und Dich ist cito abzugeben". Kolorierte Kupferstichtafel (teils in Punktiermanier) zum mehrfachen Einklappen mit wechselnden Ansichten. 1 Blatt, beidseitig bedruckt. 26,7 x 21,3 cm. Reutling, Jakob Noa Enßlin, um 1840.
Seltener Memento-Mori-Klappbrief: "Ein Brief an mich und Dich ist ist cito abzugeben. Das Porto ist gering, nimm ihn begierig an. Der Inhalt zielt auf Dich auf mich und Jedermann. Der Ort wohin er soll, der ist und heißt: O Herz merks wohl". Der zusammengefaltete Brief misst ca. 9 x 9,9 cm.
Das sukzessive Auffalten ergibt eine einzigartige Choreographie von Bildern zum barocken Carpe Diem und Memento Mori. Vorne der Titel, rückseitig sitzt Adam unter einem Laubbaum: "O Anblick voller Lieblichkeit/ Wie prangst du mit dem Ehrenkleid. Ihr Sterblichen gedenket doch zurück, wie groß war nicht im Paradies mein Glück! All ein, was kurz darauf geschehn, das könnt ihr bald mit Schmerzen sehn".
Faltet man einmal auf, erscheinen Adam und Eva mit der Schlange vor dem Baum der Erkenntnis, aus dem oben das Kruzifix herauswächst: "O Anblick voller Schreken! wie thust du doch entdecken, Den grossen Sündenfall, der uns nun tödtet All'.". Beim Aufklappen sieht der Betrachter ein prachtvoll gewandetes junges Paar auf einer Rasenfläche "Der Mensch von Erde ist gemacht, Was nützet denn die große Pracht? Kleider sind nur Sündendecken. Heb sie nur auf du wirst erschreken!".
Wird nun die untere Blatthälfte nach unten aufgeklappt, stehen beide Figuren auf ihren dürren Skelettbeinen, sie eine Schaufel, er eine Sense in der Hand haltend, in der Mitte eine Art Grabplatte mit einem von einer Schlange durchringelten Totenschädel, einem Stundenglas und rechts einer Kerze: "O Mensch! hier spiegle dich, erwäge, was du bist. Nichts als der Würmer Koth, ein Schatten der nicht bleibet, ein Staub den Augenblicks ein leiser Wind verstäubtet, ein Licht, das bald verlöscht. Drum lebe als ein Christ und lerne, weil du lebst auf Erden, wie du kannst ewig selig werden". Unten dann der von Schlangen zerfressene Leichnam auf der Steinbahre: "Ich wußte nicht wie ich an Pracht mich sollte tragen, nun ist die Pracht dahin. Da Schlangen mich zernagen und der Verwesung Raub ich bin. Komm Sterblicher, betrachte mich, was du jetzt bist, das war auch ich". – Mit entsprechenden Knicken und winzigen Fehlstellen dort, stellenweise etwas fleckig, leicht gebräunt. Gutes Blatt, von extremer Seltenheit, da solche Ephemera sich meist nicht erhalten haben.
LITERATUR
Albee, Edward, amerikan. Schriftsteller, sehr erfolgreicher Dramatiker, Autor des Welterfolgs "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", Träger zahlreicher Literaturpreise (1928-1996). Sammlung von 22 (4 handschriftlichen) Briefen, 1 eigh. Postkarte und 6 Telegrammen. Dazu 17 Durchschriften und 1 nicht abgesandtes Original der Gegenbriefe des Adressaten. Meist gr. 4to. 1959-1997.
An den Schweizer Bühnen-, Film- und Fernseh-Schauspieler, Regisseur und Übersetzer Pinkas Braun (1923-2008), der als Albees Exklusiv-Übersetzer wesentlich zu den großen Erfolgen von dessen Theaterstücken im deutschsprachigen Raum beigetragen hat. Umfangreiche und sehr gehaltvolle Korrespondenz, die sich über einen Zeitraum von 39 Jahren erstreckt und sich - durchweg in englischer Sprache - fast ausschließlich mit dramaturgischen Fragen befaßt, insbesondere mit Albees Bühnenwerken und den damit verbundenen Diskussionen zwischen Autor und Übersetzer um Titel, Form, Inhalt und Probleme der Übertragung. Dabei zeigt sich im Lauf der Zeit, dass allmählich eine Abkühlung in dem zunächst sehr freundschaftlichen Verhältnis der beiden Theaterleute eintritt. Schuld daran ist zum Teil Albees deutsche Verlegerin Stefani Hunzinger vom S. Fischer Bühnenverlag, die offenbar hinter Brauns Rücken dem Dramatiker öfter zu verstehen gibt, dass ihrer Meinung nach das Deutsch der Übersetzungen zunehmend veraltet, mangelhaft und unangemessen sei. Entsprechend feindselig entwickelt sich Brauns Verhältnis zu Frau Hunzinger im Verlauf der Korrespondenz mit Albee, bis dieser sich anscheinend andere Partner sucht und die Korrespondenz mit Braun einschläft. Als Beispiel für den Inhalt des vorliegenden Briefwechsels sei aus einem Brief Albees vom 8. Dezember 1962 zitiert, in dem es um die deutsche Fassung von "Who's afraid of Virginia Woolf?" geht: "... I am seeing Stephanie [d. i. Stefani Hunzinger] tonight and we will talk about you and WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? I'm glad you feel the way you do about the play, and I hope that the revised script that I sent with its changes and cuts didn't put you too much trouble. The revised script is, of course, the one that I want done. I'm sorry, too, that you are too young to play George, because I do want to see you act sometime. The cuts, by the way, in the revised version were not done for commercial considerations, but were done by me in the hope that I would make the play better. I don't suppose that I took more than ten minutes out of the play by my revisions ...". - Am 10. Januar antwortet Pinkas Braun in einem längeren Brief, in dem er eingehend seine Titel-Wahl verteidigt, die von Frau Hunzinger und Edward Albee abgelehnt wird: "... Last Monday I came back from Berlin were I just finished a picture, and I brought Stefani the translation of 'WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?'. In the meantime she has read it and - as she told me - she liked it very much. But she told me, too, that you objected definitely to the German title I have chosen, when she told you about it during her stay in New York. Dear Ed, please believe me that I do not suggest to alter your title out of sheer frivolity or thoughtlessness, but, on the contrary, out of the endeavour to serve your play and make its German version accessible to a German audience ...". Erklärt, dass das populäre englisch-amerikanische Volkslied "Who's afraid of the big bad wolf" in Deutschland ebenso unbekannt sei wie die Schriftstellerin Virginia Woolf, so dass niemand das Wortspiel verstehen würde und der Titel nur befremdlich wirken würde. Daher hatte Braun offenbar einen Titel wie "Wer fürchtet sich vor so viel Freud?" vorgeschlagen. Davon hatte Stefani Hunzinger jedoch strikt abgeraten, und Albee hatte ihr beigepflichtet. Bekanntlich haben die beiden recht behalten: der ungewöhnliche Titel erregte Neugier und prägte sich ein. Die spätere Verfilmung mit höchst prominenter Besetzung zeugt von der enormen Wirkung des Stückes.
Am 3. September 1988 schreibt Braun einen Brief von 3 Seiten Maschinenschrift an Albee, in dem er nicht nur heftige Angriffe gegen Stefani Hunzinger richtet, sondern auch sehr eingehend und interessant die grundsätzlichen Probleme beim Übertragen von Theaterstücken erörtert. Auf Anraten von Freundinnen schickte er jedoch den Brief nicht ab, sondern sandte eine sehr viel kürzere Version mit ähnlicher Tendenz ("Our problem is Stefani. Yes, I do feel betrayed by her"). Eine Antwort Albees ist im vorliegenden Briefwechsel nicht erhalten. - In den vorangehenden Jahrzehnten der Korrespondenz wird dagegen eine ganze Reihe von Stücken Albees einvernehmlich zu Inhalt, Tendenz, Form und ggf. ihrer Aufführung in Deutschland behandelt: "The Zoo Story", "The Death of Bessie Smith", "The Sandbox", "The American Dream", "Tiny Alice", "Malcolm", "Seascape" und "All over". - Der vorliegende Briefwechsel liefert somit wertvolle Einblicke in Produktion, Intention und Rezeption der Theaterstücke Edward Albees in Zusammenarbeit mit Pinkas Braun. Über diesen heißt es im Lexikon "Theater International" (Berlin, Henschel, 1995): "Seine theatergeschichtl. Bedeutung liegt in der kongenialen Übertragung des dramat. Werkes von Albee". - Alle Teile gelocht; einige Randschäden.
Apollinaire, Guillaume, franz. Dichter ital.-poln. Abstammung (1880-1918). Eigh. Brief m. U. "Gui". 2 S. Mit roter Tinte auf dünnem gelblichen Papier. Gr. 8vo. O. O. 18.X.1915.
Im Weltkrieg an einen Freund. "Mon ptit bon ami, J'ai reçu avec un grand plaisir ta lettre de St Nicolas je ne sais plus quoi (Meurthe et Moselle). (Avec la photo de la Cueillette de pommes.) Tu y es charmante et celui qui grimpe à l'échelle que tu tiens si gentiment est un homme heureux. Pour ma part je le félicite. - Je te remercie de tes appréciations flatteuses pour notre récent travail. Il a été rudement dur et il faut l'avoir vu, y avoir participé pour s'en faire une idée ...". Er bedauere den Freund wegen seiner steten Müdigkeit und Erschöpfung. "... Moi, je vais extrèmement bien. - On ne parle pas de rétablir les permissions, aussi la mienne reste-t-elle douteuse. Il est certan qu'il faut que toutes les forces soient présentes et je comprends fort bien que les permissions pour le moment ... ceinture ...".
Köchinnen-Ärger
Arnim, Bettine von, geb. Brentano, Ludwig Achim von Arnims Gemahlin, Schriftstellerin (1785-1859). Eigh. Brief m. U. "Bettine v Arnim". 1/2 S. Doppelblatt mit Adresse und Ringsiegel. Gr. 4to. (Berlin ca. 1832).
An den Justizrat am Berliner Kammergericht, Heinrich Leopold von Strampff (1800-1879), mit der Bitte um juristischen Beistand in einer Dienstboten-Angelegenheit. "Ich bin beschämt Herr von Strampff, daß Sie so viel belästigt werden. Die Jeannette Leidenfrost ist heute durch meinen Bedienten aufgefunden, und hat in seiner Gegenwart beiliegende Aussage gemacht und unterzeichnet; sollte es nothwendig seyn, sie nochmals hierüber zu vernehmen, so ist ihre Wohnung in der Burgstraße bei Baronin von Schimmelpfennig ... ich hoffe daß Ihre freundschaftliche Gesinnung Ihnen diese Fürbittenden ertragen helfen ...". - Beiliegend ein Quartblatt mit der erwähnten "Aussage": "Daß die Gehlert bei Frau von Arnim als Köchin auf 1 Monat angenommen war mit der Bedingung daß wenn sie der Herrschaft nicht genügend kochen könne, solle sie wieder abgehen; daß da sie nicht passend war sie bei ihrem Abgang ihren Lohn der ihr zukam emfangen [!]; daß sie auch gleich nachher in einen andern Dienst gezogen ist, bescheinige ich mit meines Nahmens Unterschrift, und kann es der Wahrheit gemäß bezeugen. J. Leidenfrost". - Ferner beiliegend ein Billet des mit Strampff befreundeten Juristen Martini, an Strampff gerichtet: "Guten Morgen! Die alte Gehlertsche Sache nimmt noch kein Ende - anliegend ein festes Decr., dessen Betrag Du wohl von Fr. v. Arnim einzuziehen die Güte hast ..." [18.XII.1833]. Mit dem Vermerk: "Uebersandt an Frau v. Arnim. 20.12." - An Bettinens Brief kleine Defekte am rechten Rand.
Barbey d'Aurevilly, Jules
Brief an Charles Narrey + Manuskript
Los 2504
Zuschlag
250€ (US$ 269)
Barbey d'Aurevilly, Jules, französ. Schriftsteller, Dandy und Exzentriker, berühmt für seine bizarr-dämonischen Erzählungen, insbesondere "Les Diaboliques", die viele moderne Übersetzer und Illustratoren zu neuen Editionen reizten (1808-1889). Eigh. Brief m. U. "Jules Barbey d'Aurevilly". 1 S. Kl. 4to. (Paris, um 1855).
An den Bühnenautor Charles Narrey (1825-1892), zu dieser Zeit auch Mitdirektor des "Théâtre de l'Odéon" in Paris. "Mon cher Narrey, Je suis d'une hardiesse de page avec Vous, mais Vous ètes, Vous, d'une bonté de Souverain. Je viens encore Vous demander une loge pour demain Vendredi si vous jouez Mauprat. J'ai une famille de province à qui je dois de la reconnaissance et qui pour le moment est à Paris. Lui faire voir Mauprat est une galanterie que je veux lui faire, grace à Vous. Vous m'avez tellement comblé que je suis presque timide, mais Vous me rassurerez ...". - "Mauprat" ist ein fünfaktiges Theaterstück von George Sand. - Von Narrey stammt auch ein Stück über George Brummell, das Barbey d'Aurevilly sicherlich interessiert hat. - Derselbe. Eigh. Manuskript. 1 S. (Grüne Tinte). Kl. 4to. O. O. (ca. 1860). - "Le plus profond interêt et la plus grande gloire de l’histoire, c’est d’ètre écrite par ceux qui la font … la simplicité seule du récit de l’action historique par qui l’a commise l’emporte sur le talent et même sur le génie des historiens qui la rapportent et qui la jugent et qui y ajoutent toujours, plus ou moins leur prestige, en la racontant ... C’est ainsi, par exemple, que les lettres inédites de la Reine d’Angleterre, Henriette Marie de France, publiées récemment par M. le Comte de Baillon, la montrent maintenant plus grande que ne l’avait montré l’histoire." - Mit mehreren Streichungen und Verbesserungen. - Die Ecken beschnitten; leicht stockfleckig; rückseitig Montagespuren. - Der Autor, selbst Literatur- und Kulturkritiker, wurde von anderen Kritikern wegen seines Dandytums (er verehrte Lord Brummell) und Snobismus kritisiert, der ihnen als übertriebene Nachahmung Lord Byrons erschien. - Beiliegend eine Ausfuhrgenehmigung des französischen Kulturministeriums.
Der politische Bauernfeld
Bauernfeld, Eduard von, liberaler Wiener Schriftsteller, mit Schwind und Schubert befreundet, Ehrenbürger Wiens (1802-1890). Eigh. Gedichtmanuskript. 4 S. Doppelblatt. 8vo. (Wien ca. 1849-1850).
Seite 3-6 eines Doppelblattes, das insgesamt 19 der jeweils 2-6 Zeilen umfassenden "Zahmen Xenien" enthält, in Gedichtform gefasste Kommentare zur Revolution und ihren Folgen, die Bauernfeld ca. 1849-1850 in unterschiedlicher Anzahl und Reihenfolge in mehreren Zeitschriften veröffentlicht hat. Einige Auszüge: "Wenn die Welt des Taumels müde ist, / Und überall rings Friede ist, / Und alles nur der Ruh' bedacht - / Da kommen die Kleinen / Und Super-Feinen, / Und sagen, das hätten sie gemacht. - Metternich wie Napoleon / Erlag der Revolution; / Ihr Knäblein aber unverdrossen / Habt muthig ihren Schlund verschlossen. - Die Sach zerfiel in Zänkerei'n, / Es hat nicht anders kommen können; / Deutscher Kaiser will keiner seyn, / Will's keiner auch dem Andern gönnen. - Das ist Alles Kraut und Stroh - / Ach, erleuchte sie, mein Herr! / Gagern ist kein Mirabeau, / Robert Blum kein Robespierre ... So kam der März, so kam der Mai, / So kam auch das Ermatten; / Die Sonne wünschtet Ihr herbei, / Und suchtet dann den Schatten." - In der Wiener "Wochenschrift für Kunst und Literatur" vom 21. November 1850, wo 28 "Zahme Xenien" unter Bauernfelds Namen abgedruckt sind, finden sich nur 2 aus unserem Manuskript. Gesammelt erschienen die Xenien erst 1887 unter dem Titel "Poetisches Tagebuch. In zahmen Xenien von 1820 bis Ende 1886" bei Freund & Jeckel in Berlin. - Gering braunfleckig.
Benn, Gottfried, Dichter und Arzt, einer der bedeutendsten dt. Lyriker des 20. Jhdts (1886-1956). Eigh. Ansichts-Postkarte m. U. "Ihr Benn". 1 S. (Schwarzburg, Thüringen) 31.VIII.1931.
An Elsa Fleischmann (1899-1987) in Berlin. "... viel haben Sie in diesen Tagen hier nicht versäumt. Wetter teils trübe, teils regnerisch u. das Hotel W. H. gefällt uns auch nur begrenzt. Herr R. [sein Begleiter, der Verleger Erich Reiss] sagt, das Essen bekommt man für 1,40 M. im Pschorr ... Aber die Aussicht von den Zimmern - die ist wirklich bezaubernd u. wir nehmen ab u. zu für 1 M. o. 0,50 M. davon, um den Pensionspreis herauszubekommen ...". - Die Bildseite der Karte (die noch einen Gruß des Verlegers und Reisebegleiters Erich Reiss enthält) zeigt ein Foto des Schlosses Schwarzburg. - Mit "W. H." ist das Hotel "Weißer Hirsch" in Schwarzburg gemeint. - Horizontale Knickfalte.
"in meinem unendlichen Schmerz"
- Eigh. Brief m. U. "Benn". 2 S. Mit eigh. Umschlag. 4to. Berlin 31.I.1946.
An Hilde Nommensen. Ergreifender Brief nach dem Selbstmord seiner Ehefrau Herta. "... Else C. Kraus [die mit Benn befreundete Musikerin]sandte mir Ihre an sie gerichtete Karte, in der Sie von meiner so sehr geliebten verstorbenen Frau sprechen ... Der Aufenthalt von Herta im Sommer 44 in Oeynhausen war ihr ein solches Glück gewesen, da es die Heimat ihrer Mutter war, dass sie ganz davon erfüllt blieb, solange sie noch um mich war. Sie sprach auch viel von Ihnen und von Frau Brandt, sodass Sie beide für mich in Hertas Leben verwoben sind und über ihr Grab hinaus mit in mein Dasein gehören. Erlauben Sie also, dass ich auch nochmals zu Ihnen in meinem unendlichen Schmerz spreche, Herta verloren zu haben und sie in ihrer letzten Stunde nicht nicht habe trösten u. halten zu können. Mein Schmerz lässt nicht nach mit der Zeit, sondern wird immer tiefer und breitet sich zu einer so grossen Trauer in mir aus, dass ich sie nicht mehr werde überwinden können. Lassen Sie mich dies noch einmal aussprechen zu Ihnen, gewissermassen als der Gestalt von Oeynhausen, dem Ort, von dem sich Hertas Gedanken nie gelöst hatten ...". - Ein Riss im unteren Rand mit Transparent-Klebstreifen repariert. - Dabei: Else C. Kraus, eine der beiden mit Benn befreundeten Musikerinnen "Die Buschis" (1899-1979). Eigh. Postkarte m. U. "PAC". 1 S. Wuppertal-Barmen 31.12.1945. - Gleichfalls an Hilde Nommensen. Nach Mitteilungen über ihr Haus Wylerberg kommt sie auf Herta Benns Tod zu sprechen: "... Denke Dir: Hertha [sic] Benn hat sich Anf. Juni das Leben genommen (Morphiumspritze) in Neuhaus-Elbe, kam nicht mit d. Andern mit, ging zurück, fand ihr primitives Quartier schon besetzt u. tat es dann, war wohl ohne Nachricht v. ihrem Mann aus Berlin, glaubte ihn tot. Es war viel zu viel für f. ihre zarte Konstitution, sie war fast immer krank. Er lebt nun ganz einsam, kann u. will sich nicht davon erholen. Hat gute Praxis ...".
Gottfried Benn als Arzt
- Eigh. ärztlicher Bericht über Verschreibungen, ohne Unterschrift. Auf einem Rezeptblatt mit gedrucktem Briefkopf "Dr. G. Benn. Facharzt für Hautkrankheiten". 1 S. 4to. Berlin-Schöneberg 30.VIII.1950.
"Frau Ellen Lüdke, Lichterfelde West ... erhielt vom 12 VIII 50 an: 1) 600 000 E. Penicillin ... - 2) 5 intravenöse Einspritzungen von Neosalvarsan 0,45 - 3) zu Beginn der Kur: 3 Einspritzungen ..." (etc.). - Leicht vergilbtes Papier. - Dabei: - Friedrich Wilhelm Oelze, Jurist und Mäzen in Bremen, mit Gottfried Benn langjährig befreundet (1891-1978). 2 eigh. Briefe m. U. "F. Oelze". Zus. 4 S. Mit den Umschlägen. Gr. 4to und gr. 8vo. Bremen 10.IX.1966 und 31.XII.1968. - An den Arzt und Herausgeber der medizinischen Schriften Gottfried Benns. Oelze bedankt sich für ein ihm übersandtes Widmungsexemplar und fügt mancherlei interessante Bemerkungen über den Dichter an: "... Während die fachmedizinischen Abhandlungen ziemlich weitab von meinen Interessen und vor allem ausserhalb meines Beurteilungsvermögens liegen, hat Ihr Nachwort mich immer ausserordentlich gefesselt. Sie zitieren ... den Brief von Frau Fleischmann, in dem das ambivalente Verhältnis B.'s zur Wissenschaft überhaupt ('ich bezweifle den Satz von der Kausalität zu sehr ...' usw.) mit schonungsloser Offenheit sich äussert. Die Wissenschaft - im strengen Sinne - einerseits bejahen, andrerseits ihre Resultate, ihre Begriffe überhaupt, lediglich als Stoff, als Material für seine 'Perspektiven' gelten lassen (sie also als 'Wissenschaft' für nichtig zu erklären): diese Antinomie festzunageln und der Versuch sie aufzulösen war eigentlich die Initialzündung zu unserer Korrespondenz im Jahre 32 ... Wir haben sehr selten - und wenn, nur obenhin - über seinen Arztberuf gesprochen, er kannte meine Scheu vor der Medizin und den Aerzten, besonders den Chirurgen, meine Leiden pflegte er gern als Neurosen zu erklären. Über sein Spezialfach haben wir uns kaum jemals unterhalten; ich könnte mir aber denken, dass die venerischen Krankheiten für ihn weniger ein medizinisches als ein menschliches, 'anthropologisches' Problem bedeuteten ... Dass er den Blick des geborenen Arztes hatte ('mein Röntgenauge', sagte er mir einmal) steht ausser Frage; sicher wäre er, in andrer ärztlicher Funktion, ein glänzender Diagnostiker gewesen ..." [10.IX.1966].
Ende Dezember 1968 bedankt sich Oelze für das ihm zugesandte "Epitaph für G. B.". "... Ich freue mich, dass diese Wellmann'sche Anthologie der so heftig divergierenden Andichtungen Benn's bei Ihnen Zustimmung ... gefunden hat, ich finde sie berechtigt. Kritik von anderer Seite, soweit sie mir zu Ohren gekommen ist, war kaum mehr als ein bedingtes 'Nun ja' ... Gewiss, Benn ist zur Zeit kein Thema für die Deutschen - Brecht hört auch bereits auf es zu sein - kein Thema insbesondere für unsere Revolutionäre im Alter von 20-34, die bislang von dem Privileg ausgiebig Gebrauch machten, aus ihren wohlgeheizten Etagenwohnungen das Zeitgeschehen mit ihren sozialmoralischen Kommentaren unverbindlich akkompagnieren zu dürfen. Nein, Benn mit seinem 'aesthetischen Hermetismus' ist für sie vieux jeu, der 'letzte Spitzweg'sche Regenschirm' ... Alle fünf Jahre eine neue Weltenwende (in der Literatur, d. h. an den Schreibmaschinen der Reich-Ranicki u. Genossen) ... Die Undankbarkeit, die blatante Ungerechtigkeit der Deutschen gegenüber ihren grossen geistigen Emanationen ist so horrend wie erschreckend; dem geistigen Antipoden, gerade ihm, mit dem Respekt zu begegnen, wie er Potentaten gebührt, und wie er bei civilisierten Nationen, sagen wir Frankreich oder England, zu den Selbstverständlichkeiten gehört, das war unserem Volke von jeher fremd --- unsere Kritik war fast immer die Denunziation des Andersdenkenden oder die persönliche Diffamierung des geistigen Antipoden, - aber daneben die galoppierende Modernität! ... Gut, Benn wird immer wohl zu jenem 'zweiten Olymp' der Deutschen gehören, jenen im Grunde Ungeliebten, am Rande Geduldeten, meistens von der Zunft Verschwiegenen, zu denen (um ein paar illustre Namen zu nennen) gehören: die Kleist, Büchner, Börne, Heine, Nietzsche, - in dieser Reihe sehe ich auch Benn, lassen wir die 'literarhistorische' Qualifikation einmal beiseite ...".
Großer Reinfall in Wuppertal
- 2 eigh. Briefe m. U. "G. B." bzw. "G. Benn". Zus. 3 S. 8vo. Berlin-Schöneberg 22.I. und 27.X.1953.
An die ihm befreundeten Musikerinnen Alice Schuster und Else C. Kraus, genannt "Die Buschis". "Liebe Buschis, wir sitzen zu Euern Füssen u. lauschen Cchen [d. i. die Pianistin Else C. Kraus]. Bitte, ruft mich an, wenn Ihr Zeit habt zwecks Wiedersehn [22.I.] ... Ihr lieben schönen Frauen, wie reizend war es, Euch zu sehen, nehmt nochmals meinen herzlichen Dank dafür. Hoffentlich seid Ihr gut nach Hause gekommen u. Elses's Abstinenz hat sich gelohnt. In Wuppertal gab es einen grossen Reinfall, da der von Erich als nett geschilderte Dr. Leep trotz meiner schriftlichen und mündlichen Bitten keinen Lautsprecher hatte aufstellen lassen. Der Saal überfüllt, die hinteren Reihen murrten, ich wurde wütend, hatte keine Lust mehr, machte es kurz, holte nur mein Honorar, drehte allen den Rücken u. ging nicht in die Nachfeier ins Hotel. Ein armseliger Provinzonkel, dieser Herr Dr. L.! ..." [27.X.1953].
- Herzfelde, Wieland, kommunistischer Schriftsteller und Publizist, Gründer und Leiter des Malik Verlages, Professor für Literatursoziologie (1896-1988). 3 Briefe m. U. "W. Herzfelde", der erste Brief eigenhändig, die beiden anderen maschinenschriftlich. Zus. 4 S. Mit den Umschlägen. Gr. 4to und quer-gr. 8vo.
Hévíz (Ungarn) und Berlin 1963-1967.
An den Mediziner Prof. Dr. Werner Rübe, der sich mit der Persönlichkeit Gottfried Benns als Arzt beschäftigte und dessen medizinische Schriften herausgab. An Herzfelde hatte Rübe geschrieben und nach dessen Kenntnis von dem Dada-Prozess gefragt, den Walter Mehring in seinen Briefen (siehe die nächste Katalog-Nummer) schilderte und dabei Gottfried Benns Gutachten zugunsten Mehrings erwähnte. Herzfelde antwortet handschriftlich, da er aus einem Krankenhaus in Ungarn schreibt. "... Ich kannte Dr. Benn seit 1915 - von dem erwähnten Gutachten höre ich indessen zum erstenmal von Ihnen. Folglich kann ich darüber nichts mitteilen. Auch dürfte es für mich nicht leicht sein, etwas zu erfahren. Um welchen Streitfall hat es sich gehandelt. Das Thema interessiert mich - umso mehr, als ich mit den wohl bedeutendsten Satirikern Deutschlands: Grosz, Tucholsky und Heartfield verbunden war ... Sollte es mir möglich werden, Ihnen das gewünschte Aktenzeichen zu besorgen, lasse ich es Sie wissen ... Wissen Sie vielleicht, wer der Anwalt war, der das Gutachten bestellte? [15.X.1963] ... Herzlichen Dank für die Übersendung Ihres Aufsatzes 'Gottfried Benn und die Medizin' ... Stark beeindruckt hat mich Ihre Stilkritik, der ich weitgehend zustimme. Nur möchte ich sagen, dass psychische oder sexuelle Erkrankungen wie Krankheiten überhaupt nicht notwendig eine minderwertige künstlerische Produktion bedingen. Ich finde diese Behauptung für [!] so verfehlt, wie etwa die von Eckermann-Goethe, das Klassische sei gesund, das Romantische krank. Auch glaube ich, kommt man schwer darüber hinweg, auch Erkrankungen der Gesellschaft da zu konstatieren, wo individuelle Gesundheit vorherrscht. Ebenso kann das Umgekehrte eintreten ... Sobald meine Zeit mir erlaubt, möchte ich diese Zeilen durch längere Ausführungen zu präzisieren versuchen ..." [Berlin 3.II.1967]. - Der dritte Brief über einen geplanten Besuch Rübes bei Herzfelde.
Walter Mehring über Gottfried Benn
- Mehring, Walter, Schriftsteller, Dadaist, Kabarettist (1896-1981). 3 eigh. Briefe m. U. "Walter Mehring". Zus. 4 S. Mit den eigh. Umschlägen. Gr. 4to und gr. 8vo. Ascona und Zürich 1966-1969.
An den Mediziner Prof. Dr. Werner Rübe, Herausgeber der medizinischen Schriften Gottfried Benns, der Mehring nach Erinnerungen an Benn gefragt hatte. Mehring sendet in drei Briefen ausführliche Äußerungen über Gottfried Benn aufgrund seiner persönlichen Begegnungen und Eindrücke. "... Die Staatsanwaltschaft hatte 1919 Anklage erhoben gegen mich als den Autor eines Dadasongs ('Unzüchtigkeit und Verhöhnung der Reichswehr'); gegen Wieland Herzfelde als den Herausgeber unserer Zeitschrift 'Jedermann sein eigener Fußball'. (Nur diese eine Nummer erschien - jede weitere Ausgabe wurde verboten.) Unsere Anwälte hatten als Sachverständige geladen: Alfred Kerr (dessen Zeugnis in seiner Abwesenheit verlesen wurde). Dr. Gottfried Benn, der sein längeres (sarkastisches ) Gutachten vortrug. Er verwendete es später in einem Essai über den 'Zusammenhang von Sexualpathologie und Satire'. Eine Abschrift des ursprünglichen Textes hatte er mir dediziert. Sie fiel mit anderen Briefen von ihm und anderem Privatbesitz der Haussuchungsplünderung durch die S.A. in der Wohnung meiner Mutter zum Opfer (am 27. Februar 33). Sehr vage erinnere ich mich, daß ein Abdruck in einer abseitigen Zeitschrift ('Der Einzige'?) erschien. Berliner Zeitungen berichteten kurz über den Prozess ... und auch über die Gutachten von einem Herrn Professor Brunner (Fachmann für unsittliche Litteratur) im Namen der Staatsanwaltschaft, von Gottfried Benn, der ihn in einen 'gelehrten' Disput verwickelte, und Alfred Kerrs Schriftsatz [Ascona 11.III.1966] ... nur einige Randgedanken zu Ihrer Studie Gottfried Benn. Ihre psychopathologische Analyse auf Grund seiner Schriften - der Wortwahl, der Assoziationen seiner Verse - scheint mir, soweit ich als Laie es beurteilen kann, höchst bemerkenswert. 'Die pünktliche Pedanterie der Armee mit dem festen Korsett des zeitlichen Tagesablaufes nahm sich seiner Schizothymie an ...'. Das Korsett: das ist mir bei allen Begegnungen mit ihm aufgefallen. Den Phänotypen Benn betrachten Sie mit den Augen des Wissenschaftlers (doch zugleich mit einer seltenen Sensibilität für das Poetische, das Lyrische). Es hat mir vieles erklärt, was mir beim späteren Benn, dessen Frühwerke mich - oft wider Willen - fasziniert hatten, unbegreiflich geblieben war ... Seine Begeisterung für das 'Führerwesen' - Sein Gefasel von der 'Suprematie der Arischen Rasse' ... Ich hatte Ihnen, glaube ich, geschrieben, warum ich in Berlin, Anfang der 50. Jahre, eine Einladung Gottfried Benns ablehnen musste: weil ich es Else Lasker-Schüler (im Exil) gelobt hatte [Ascona 13.I.1967] ... Gottfried Benn: das ist ein, für mich, heikles Theam. Der Lyriker der MORGUE-Verse, den ich aus dem Kreise Theodor Däubler, George Grosz, Else Lasker-Schüler gekannt hatte, war ein anderer, als der schizophrene Pamphletist, der - obwohl Biologe - von einer 'arischen Rasse' faselte, dem 'Führergeist' huldigte; die Exilierten verhöhnte. - Das Werk eines Dichters wird nie verjähren. Aber seine Sünden wieder den Geist, die er wissentlich begangen hat, bleiben unverzeihbar ..." [24.III.1969].
Über göttliche Gnade und über Kafka
Brod, Max, österr. Schriftsteller, Kafkas Freund und Förderer (1884-1968). Eigh. Brief m. U. "Max Brod". 2 S. auf 2 Bl. Mit eigh. Umschlag. Gr. 4to. Tel Aviv 27.XI.1953.
An einen Lyriker in Niedersachsen. Brod berichtet, dass er, von einem dreimonatigen Aufenthalt in Europa zurückgekehrt, zu Hause "unendlich viel Arbeit" vorgefunden habe, so dass er leider nur kurz antworten könne. Im Gegensatz dazu ist der vorliegende Brief jedoch außerordentlich umfangreich und gehaltvoll. "... Was Ihre religiösen Skrupel betrifft, so kann ich als Jude diese nur vom universalen Standpunkt aus, nicht vom spezifisch christlichen her beantworten. Karl Jaspers hat ein ausgezeichnetes Büchlein geschrieben, 'Der philosophische Glaube' ... er zeigt, daß Philosophie und Religion vereinbar sind, ja einander gegenseitig unterstützen. Dieses Büchlein hat mir viel gegeben ... Über die gleichen Fragen habe ich in meinen Werken 'Heidentum, Christentum, Judentum', auch in 'Diesseits und Jenseits' geschrieben. Die Gnade nun ist ein zentraler Begriff, sowohl der christlichen wie der jüdischen Religion. Sie bezieht sich meiner Ansicht nach auf Konflikte, in denen wir die Ohnmacht unserer bloß menschlichen, begrenzten Kräfte fühlen - und demütig darauf warten müssen, daß eine höhere Macht uns den Weg zeigt. Was in unseren Kräften liegt, müssen wir tun, um das Richtige zu finden. Es geht nicht an, daß wir die Dinge Gott überlassen, so lange wir nicht alles, was in Menschenhand steht, geleistet haben. Aber freilich selbst durch unsere größte Anstrengung und den besten Willen haben wir kein verbrieftes Recht erwirkt, daß nun die Gnade eingreifen wird ... sie kann durchaus auch einfachen Menschen, wie etwa Ihren Eltern, die, wie Sie schreiben, sich für Literatur und Religion nicht wie für 'Lebensfragen' interessieren, geschenkt werden, wenn sie redlich sind und Gutes tun. Ebenso auch Völkern, die nicht jenen Glauben haben, den Sie, wie es scheint, für den einzig richtigen halten. Hier weicht wohl der jüdische Glaube vom christlichen ab ... Dagegen mußte Dante im 4. Gesang seiner Hölle selbst Vergil (sein Vorbild), Homer, sogar Abraham, Jakob etc. in die Hölle, allerdings in den obersten leichtesten Kreis, placieren. Wie schwer es ihm geworden ist, in diesem Punkt der christlichen Dogmatik zu folgen, an die er sich aber seinem ganzen Weltbild gemäß halten mußte, - das bitte ich Sie, dem über alle Maßen großartigen Werk der 'Göttlichen Komödie' selbst zu entnehmen ... Was Kafka anlangt, so kann ich Sie nur auf mein ... Büchlein 'Franz Kafkas Lehre und Glauben (Kafka und Tolstoi)' verweisen ... Ihre Begeisterung für Kafkas 'Betrachtung' teile ich in vollem Maße. Kafka hat diese Prosastücke auf meine Bitte aus seinem Tagebuch ausgewählt. Sie schienen ihm also gewiß wertvoll ... Ich halte Ihre Bemerkung über den Bucephalus für richtig. Sie beweist, daß Sie ein feines Gefühl für die Werte der Dichtung haben. Und das hat mich auch bewogen, Ihnen trotz meiner wahnsinnigen Arbeitsüberlastung zu antworten ... Zu dem Wort 'Trotzdem': Kafka schrieb es oft, wo man 'obwohl' erwartet. Zuerst habe ich es korrigiert, dann aber dem Wörterbuch von Sachs-Villatte entnommen, daß es als Konjunktion zwar unüblich, aber dort nicht falsch ist ...".
- 2 eigh. Briefe m. U. "Max Brod". Zus. 21/2 S. Mit 1 eigh. Umschlag. Kl. 4to und folio. Tel Aviv 6.IX.1954 bzw. Zürich 28.IX. [1954].
An denselben, der ihm zum Geburtstag gratuliert hatte. "... kann ich mir doch sagen, daß ich mich ehrlich um die großen Werte der jetzt so bedrohten Kultur bemüht habe. Vom 14.-18. Oktober werde ich in Hamburg sein, ich spreche über Kafka, ferner über Cicero. Sollte Ihr Weg Sie nach H. führen, wird es mich freuen, Sie kennen zu lernen. Ich bin dort von der Gesellschaft für christl.-jüd. Zusammenarbeit (Erich Lüth) eingeladen [6.IX.] ... In Ihren Gedichten ist zweifellos viel Schönes, Gefühltes, - namentlich die Naturbilder und das Mädchen treten hervor. An vielen Stellen scheint mir das Konkrete noch zu fehlen, das Einmalige, Unverwechselbare, das ich in der Lyrik Goethes und Mörikes so sehr liebe. Jedenfalls zeugen Ihre Verse von musikalischer Begabung und redlichem Bemühen ... Am Samstag Abend 16. Oktober findet mein Vortrag über Kafka statt. Am Nachmittag ... könnte ich mir wohl am ehesten eine Stunde frei machen. - Man hat mich im Hotel Alsterhof einquartiert, obwohl ich eigentlich solche Luxushotels nicht liebe u. eine bescheidene Gaststätte vorgezogen hätte ..." [28.IX.].
Busch, Wilhelm, Dichter, Zeichner und Maler, genialer Karikaturist von epochaler Bedeutung (1832-1908). Eigh. Gruß m. U. "Wilh. Busch" auf einer Gemeinschafts-Postkarte. (Bleistift). Halberstadt 31.VIII.1903.
Von mindestens drei Personen beschriebene Postkarte mit Ansichten aus Lamspringe, abgeschickt in Halberstadt nach England zu einem Fräulein Cl. Neuse in Trearddur Bay in North-Wales. Wilhelm Busch nahm offenbar an dieser Wanderfahrt teil und schreibt: "Auch von mir freundliche Grüße Wilh. Busch".
Creuzer, Friedrich, Heidelberger klass. Philologe und Symboliker, von Karoline von Günderrode schwärmerisch verehrt (1771-1858). Eigh. Brief-Konzept m. U. "Friedrich Creuzer". 1 S. Doppelblatt mit Adresse. Goldschnitt. Folio. Heidelberg 16.IX.1837.
Wohl Entwurf eines Dankschreibens an Louis Philippe I., König der Franzosen, den "Bürgerkönig", der ihm den Orden der Ehrenlegion verliehen hatte. "Eure Majestaet haben die Gnade gehabt, einem deutschen Professor in meiner Person durch Ertheilung des Ordens der Ehrenlegion eine grosse Auszeichnung zu gewähren; wofür Hoechstdenselben ich meinen unterthänigsten Dank in deutscher Sprache auszusprechen wage. - Unterthan und Diener eines guten und liebenswürdigen Fürsten blicke ich im Geist oft zum benachbarten Frankreich hinüber, und preisse es glücklich, von einem Koenige beherrscht zu werden, dessen Kraft und Weisheit diesem mächtigen Reiche die Wohlthaten der Civilisation und dem ganzen Europa die Segnungen des Friedens zu erhalten und zu sichern vermag. - Auf meinem Standpunct, als Lehrer und Schriftsteller, muss ich aber besonders den hohen Geist bewundern, mit welchem Eure Majestaet das ganze Gebiet der Wissenschaften und der Künste zu überblicken pflegen ...". - Creuzer war bereits 1825 zum auswärtigen Mitglied der "Académie des Inscriptions et Belles-Lettres" ernannt worden. - Das feste Papier mit Goldschnitt könnte darauf hindeuten, dass es sich nicht um einen Entwurf, sondern um den Originalbrief handelt. - Etwas gebräunt.
Im Exil: "Erfolglosigkeit, Schlaflosigkeit, Einsamkeit"
Ehrenstein, Albert, expressionistischer Lyriker, Erzähler und Kritiker, emigrierte 1932 in die Schweiz, 1941 in die USA (1886-1950). 2 eigh. Briefe m. U. "Albert Ehrenstein". Zus. 21/2 S., der erste Brief auf liniiertem Papier. Gr. 4to und gr. 8vo. New York 14. und 25.V.1946.
An die Schriftstellerin und Journalistin Friderike Maria Zweig (1882-1971), die versuchte, dem depressiven Autor mit Rat und Tat zu helfen, z. B. bei der Suche nach einem Erholungsort mit geeignetem Quartier. "... Sie sind mein braver, lieber, guter Engel! Vielleicht ahnen Sie manchmal, wie mir zu Mute ist: fast lebensmüde! Warum? Erfolglosigkeit, Schlaflosigkeit, Einsamkeit. Das Wiederkäuen solcher 'keiten' läßt beinah die Ewigkeit gediegener erscheinen. Krankheit und Armut wirken auf die Dauer niederdrückend und selbst so komische Erfolge wie die Mitteilung des präsumptiven Nicht-Verlegers von Sealsfield, 'Ein gewisser Herr Mayer hat das einzige Exemplar bestellt', bleiben ohne langhin erheiternde Wirkung. Ob ich Ihnen unter diesen Umständen das Risiko zumuten kann, als zweite Subskribentin zu kandidieren, vermag mein Galgenhumor nicht zu ermessen ... Vielen Dank für Ihre Bemühungen für Loewy, der sie durchaus verdient. Leider hat das Canby-Comitee gar kein Geld. Der Mann verdient für sich und seine ebenfalls kranke Frau $ 25 und kriegt es dabei noch fertig, immer wieder Pakete nach Wien u. Prag zu schicken - jüngst sandten diese armen Pelikane die eigene Winterbettwäsche nach Wien. Leider bin ich in seinem Arbeitsgebiet (musik. Gehör) nicht sachverständig ...". Ferner Überlegungen zu einem Erholungsaufenthalt bei einer Miss Norment in Hartwick, der aber scheitert, weil das Haus nicht hoch genug in den Bergen liegt, um Ehrensteins gesundheitliche Probleme zu lindern.
Goeckingk, Leopold von
Brief 1815 an die Nicolaische Buchhandlung
Los 2519
Zuschlag
400€ (US$ 430)
Die Probleme eines Büchersammlers
Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von, preuß. hoher Finanzbeamter, Dichter und Schriftsteller, Mitglied des Halberstädter Dichterkreises, dem Göttinger Hain nahestehend, Almanach-Herausgeber, Publizist und Illuminat (1748-1828). Eigh. Brief m. U. "Goeckingk". 1 S. Doppelblatt mit Adresse. 4to. Deutsch Wartenberg (Schlesien) 26.X.1815.
An die Nicolaische Buchhandlung in Berlin. Dankt für erhaltene Schriften und bedauert, dass nicht alles Bestellte gekommen sei. "... bin aber für die sich deshalb, wenn gleich vergeblich, gegebene Mühe, eben so sehr verbunden. Daß Schriften, wie Hrn v. Rochows Berichtigungen, sich so ganz vergreifen, und doch nicht wieder aufgelegt werden, war mir unerwartet. Von H. v. Thümmels Reise setze ich den vollständigen Titel ... her: Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich, im Jahre 1785 bis 1786 ... Ich bitte, gelegentlich bey Hrn. Göschen wegen der fehlenden Theile nochmals kurz Frage zu halten. Die Ausgabe auf Druckpapier verlange ich nicht. Sind jene einzeln nicht zu haben, so wünschte ich den Preis des Ganzen zu erfahren. - Die neue Bibl. der schönen Wissens.[chaften] besitze ich nun complet, bis auf den 45sten Band, den ich mir noch zu schicken bitte; ich hatte, als ich meinen vorigen Brief schrieb, mich nicht gleich erinnert, daß die übrigen, als fehlend angegebenen, beym Buchbinder in Züllichau waren, von dem ich sie jezt zurück erhalten habe; dabey hat er mir aber zugleich gemeldet, daß am 26sten Bande von Kleins Annalen, vom Buchstaben M. an die lezten Bogen fehlen, und dieser Band nur bis L. gehe ... Die Anlage ersuche ich Hrn. Hofr. Parthey zuzustellen ...". - Gleichmäßig etwas gebräunt; das Siegel beim Öffnen ausgeschnitten.
Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter, Theaterleiter, Staatsmann und Naturforscher (1749-1832). Brief m. U. "Goethe". 1 S. 4to. Unter Glas gerahmt mit schmaler versilberter Leiste. Weimar 22.X.1805.
In Riemers Handschrift an Herrn "Weiße", wohl den Kupferstecher A. Weise, wegen des Nachlasses des Jenaer Mediziners und Botanikers August Batsch (1761-1802), der als Professor an der Universität und Direktor des Botanischen Gartens in Jena vielfältigen Kontakt mit seinem Vorgesetzten Goethe gehabt hatte. "Fürstliche Commission hat zwar die Absicht mit den Batschischen Erben, wegen des naturhistorischen Nachlasses, übereinzukommen; doch könnten Sie ... denen Liebhabern, welche sich melden, einstweilen antworten, einige Forderung thun und die Gebote vernehmen, auch solche alsdann fürstlicher Commission mittheilen. Man würde dadurch über den billig mäßigen Preis vielleicht am ersten aufgeklärt werden ...". - Weise hatte in Batschs Todesjahr 1802 dessen Porträt gestochen. - Nicht in der Weimarer Ausgabe.
Carl August, Großherzog von Sachsen-Weimar
Eigenhändiges Billet 1796
Los 2521
Zuschlag
300€ (US$ 323)
- Carl August, Großherzog von Sachsen-Weimar, Freund und Förderer Goethes (1757-1828). Eigh. Billet m. U. "Carl August". 1/2 S. 8vo. (Weimar 1.XII.1796).
"Hier schicke ich Ihnen was eingebunden ist; meinen Brief an B. lege ich bey, ich bitte ihn mit Erster Post abzuschicken; ich weiß keine andere Instr[uction]. die ich ihm geben könnte. Leben Sie wohl. Carl August mpp." - Vom Empfänger datiert "d. 1 Dec 1796".
- Wolzogen, Caroline von, geb. von Lengefeld, Schillers Schwägerin, Schriftstellerin, als Gemahlin eines hochrangigen Diplomaten, Geh. Hofrats und Kammerherrn verkehrte sie in Weimar mit allen literarischen Größen (1763-1847). 2 eigh. Briefe m. U. ""C v Wolzogen" und Adresse. Zus. 2 S. Quer-gr. 8vo bzw. gr. 8vo. Jena 29.VIII.1843 und 21.X.1844.
An den "Geh. Hofrat Schultz", d. i. der Nationalökonom und Landwirt Friedrich Gottlob Schulze (-Gaevernitz), Professor in Jena. "ich sehe eben aus einer Zeitung, daß meine Freundin die Staatsräthin Koenen [?], in Berlin gestorben ist. Den Nachlaß ihrer Pappiere hat sie Streckfuß, übergeben. Wüßten Sie mir zu sagen, ob dieser noch in Berlin, oder schon in Zeitz wohnt? Verzeihen Sie ... diese Anfrage, aber die Sache beunruhigt mich sehr, wenn diese Pappiere in unregte Hände fielen wär es mir sehr unangenehm, auf Streckfuß verlaße ich mich [29.VIII.1843] ... Der Erbgroßherzog war heut gegen 3 Uhr bei mir, u. hatte sogleich zu Ihnen geschickt, es war sein Hauptmotiv des Hierherkommens, sich mit Ihnen wegen der Einrichtungen in Zwätzen zu besprechen wie er mir sagte. Es tat ihm sehr leid Sie nicht zu finden, u. bat mich Ihnen zu sagen Sie mögten doch ja, wo möglich noch in dieser Woche zu ihm nach Weimar kommen jener Angelegenheit wegen ..." [Jena 21.21.X.1844]. - Der preußische Geh. Oberregierungsrat und Schriftsteller Karl Streckfuß zog sich 1843 nach Zeitz zurück, um dort seinen Lebensabend zu genießen, starb aber bereits 1844 auf einer Reise in Berlin. - Mit den "Einrichtungen in Zwätzen" bei Jena ist der von Schulze geleitete landwirtschaftliche Verein gemeint, der auch eine Lehranstalt hervorbrachte. - Einige beim Öffnen der Briefe entstandene Defekte.
Gutzkow, Karl, bedeutender liberaler Schriftsteller, Dramatiker, Kritiker und Publizist, dem Jungen Deutschland nahestehend, Förderer Georg Büchners (1811-1878). Eigh. Brief m. U. "Gutzkow". 12/3 S. Doppelblatt. Gr. 8vo. (Weimar) 10.IV.1863.
An eine Dame. "... Sie machen mich glücklich, daß sich der gestrige Schicksalsspruch: Sie reisen am Abend ab! versagt hat und ich Sie doch noch heute sehen soll. Obgleich ich mich leider nicht recht wohl fühle, so ist doch mein Tag heute schon ziemlich eingetheilt - von 1 bis 7 bin ich kaum meiner Herr. Ich denke, ich poche bei Ihnen um 11 Uhr, also binnen einer Stunde an. Denn daß Sie zu mir kommen wollen, wäre von Collegen gegen Collegin zu viel verlangt ...".
Haringer, Jakob, Lyriker (1883-1948). Gedicht-Typoskript mit eigh. Brief als Begleitschreiben und Umschlag. 10 S. Typoskript und 2 S. eigh. Brief m. U. "Haringer" und Gesamttitel (Bleistift). Ebenau bei Salzburg (ca. 1935).
"Neue Verse von Haringer für W. Buller". Enthält die Gedichte "Ewige Liebe. - erlöst -. Resignation. Vor der Weihnachtskrippe. Der Tod. Unmut. Lästerung. Marienlied. Die Jahre. An den Traum." - Dazu schreibt der Dichter (auf der Rückseite eines Manuskript-Ablehnungs-Formulars der Zittauer Morgen-Zeitung) an seinen Gönner Buller in Duisburg: "... wie mag es wohl Ihnen ergehen?! ... leider, leider lebe ich noch! & wie!!! ich nächtige in einer alten Holzfällerhütte & lebe von den Beeren des Waldes. Wann hat man endlich ausgehungert, ausgelitten!!!? Wenn Sie können, helfen Sie mir & falls Ihnen die Verse gefallen schicken Sie mir doch soviel auf ein Abendessen & eine Zigarre. Heißen Dank dafür!! ...". - Der eigentlich begabte Dichter erhob im Lauf der Zeit seine notorische Armut gleichsam zum "Geschäftsmodell", und es gibt kaum ein Schriftstück von ihm, in dem er nicht von sich das Bild des "armen Poeten" zeichnet. - Der Umschlag unauffällig im Falz verstärkt.
- Eigh. Postkarte m. U. "Haringer". 1 S. Wien (31.I.1935).
An seinen Mäzen W. Buller in Duisburg. ".. Warum lassen Sie, Verehrter, so gar nichts mehr hören?? in schlimmster, allerschlimmster Stunde gedachte ich Ihrer & Ihrer edlen Güte. Heute denkt niemand mehr in Güte meiner. Es ist wurscht, daß ich seit Monaten wieder buchstäblich gehungert & obdachlos bin, aber: in dieser eisigen Kälte besitz ich nicht mal einen Mantel. Schuh & Anzug sind total zerfetzt. Sie waren stets & oft mein rettender Engel: Vielleicht haben Sie bitte gelegentlich einen ganz alten Mantel oder einen ganz alten Anzug. Wie dankbar wär' ich Ihnen!! so ist man gar kein Mensch mehr & es deprimiert furchtbar ohne Mantel & in Fetzen herumlaufen müssen. An wen sollte ich mich denn sonst wenden, wenn nicht an Sie, der Sie mir stets Hilfe und Rettung waren & ein edles Herz für den Armen hatten. Ich wär, trotz allem längst in meiner dtschn Heimat, hätt ich das Fahrgeld ...".
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