Freytag, Gustav, Dramatiker, Kulturhistoriker, Erzähler und Publizist (1816-1895). Eigh. Brief (Buchbestellung) mit U. "Gustav Freytag, S. Hofrath". 1 S. Gr. 8vo. Leipzig 15.III.1858.
An einen Antiquariatsbuchhändler. "... Aus Ihrem 22 Verzeichniß erbitte mir durch Ihren hiesigen Commissionär gegen Nachnahme des Betrages
J B. Mathesius Historie u.s.w. - 20
Eberti Schlesiens gelehrte Frauenzimmer 8
Flögel Gesch. d. Hofnarren 12
Zugleich ersuche ich Sie, mir Ihre Kataloge bald nach dem Erscheinen direct zusenden zu wollen ...". - Der erste, undeutlich geschriebene Titel passt zu zwei Schriften des Mathesius über Martin Luther, die eine 1715, die zweite 1730. - J. C. Ebertis "Eröffnetes Cabinet des gelehrten Frauen-Zimmers. Schlesiens hoch- und wohlgelehrtes Frauenzimmer" erschien 1706 und 1727. - Karl Friedrich Flögels "Geschichte der Hofnarren" erschien 1789. - Einrisse im breiten unteren Rand.
Gästebuch der Pariser Buchhandlung "Calligrammes" und ihres Inhabers Fritz Picard. 2 Bände. 144, 4 S. beschriftet oder illustriert. Mit mehreren hundert schriftlichen und graphischen Beiträgen (Bleistift, Tinte, Kugelschreiber, Farbstift). Quer-4to und 4to. Roter Lederband (Ecken und Kanten zerschlissen) mit Goldschnitt bzw. roter Leinenband. Paris 1952-1976.
Reichhaltiges Gästebuch von Fritz Picard (1888-1973), dem deutschstämmigen Inhaber der Buchhandlung „Calligrammes“ in Paris, Rue Dragon, eines bekannten Treffpunktes von Schriftstellern und Künstlern, sowohl Einheimischen als auch Touristen, die sich nach anregendem Aufenthalt und Gesprächen mit Picard in sein Gästebuch eintrugen. Aus Hinweisen von Beiträgern wird ersichtlich, daß Picard offenbar in den Zwanziger Jahren seine Buchhandlung in Berlin hatte. Seine regelmäßigen Ausstellungen in Paris knüpften an die Epoche der damaligen Moderne, und so finden sich etliche ehemalige Dada- und Bauhaus-Künstler unter den Beiträgern des Gästebuches.
Vertreten sind die Schriftsteller Alfred Andersch mit Gisela Andersch, François Bondy, Paul Celan, Georg Glaser, Peter Handke, Ludwig Harig, Raoul Hausmann (mit Zeichnung), Julius Hay, Franz Jung, Ursula von Kardorff, Annette Kolb, Marianne Langewiesche, Jakov Lind, Erich Lissner, André Pieyre de Mandiargues, Walter Mehring (mit Zeichnung), Jacob Picard, Gustav Regler, Paul Schallück, Philippe Soupault, Mario Spiro, Thea und Mopsa Sternheim, Emil Szittya, Elmar Tophoven, Georg Stefan Troller, Tristan Tzara (mit Zeichnung) und andere.
Die bildenden Künstler Lou Albert-Lazard, Hans Arp, César Domela, Max Ernst, Johnny Friedlaender, Willi Jever, Marino Marini, Hans Richter, Martin Schmid (Sohn von Carlo Schmid), Michel Seuphor, Ré Soupault, Katerina Wilszynski und andere.
Die Philosophen und Literaturwissenschaftler Ernst Bloch, Robert Minder, Manès Sperber, Jakob Taubes; die Verleger Karl Hanser, Günter Neske und Siegfried Unseld; die Kunsthändler und -sammler Heinz Berggruen, Hans Bolliger, Lothar-Günther Buchheim, Paul Rosenberg. Ferner der Politiker Carlo Schmid und der Pantomime Marcel Marceau (mit großem Selbstporträt 1959). Die vielfältigen graphischen Beiträge zeigen mehrere Porträts des Buchhändlers sowie Außen- und Innenansichten seines Ladens. Bis 1958 wurde nur mit Bleistift und ohne Illustrationen eingetragen. Mit einem hübschen Selbstbildnis macht Marcel Marceau 1959 den Anfang mit Illustrationen, denen bis in die 70er Jahre noch 26 Zeichnungen, Druckgraphiken und Collagen verschiedenster Künstler und Autoren folgen. - Beachtliches Beispiel für eine Buchhandlung als kultureller Treffpunkt einer Millionenstadt.
- Eigh. Gedichtmanuskript. 1 S. (schwarze Tinte). Gr. 8vo. O. O. (ca. 1875).
"Mädchenlied. (nordisch)". 15 Zeilen: "Die Luft ist grau und grau das Meer, / Der Wind fegt pfeifend drüberher, / Die Möwe kreischt, die Brandung wallt - / Wie ward mein Herz so sterbensalt! / Traurig rinnen die Tage. - Wohl hab' ich andre Zeit gekannt, / Wir fuhren im Nachen Hand in Hand, / Das Meer war blau, die Sonne schien, / Ich sah und wußte nichts als ihn; / Selig waren die Tage ...". - Das mehrmals vertonte Gedicht erschien 1877 in "Spätherbstblätter" (Stuttgart, Cotta). - Randläsuren; rückseitig Montagespuren; am oberen und unteren Rand mit Tinte die Notiz: "Autogramm von Emanuel Geibel. Rosa Livingston. 16. März 1886."
- Eigh. Brief m. U. ""Emanuel Geibel". 4 S. Gr. 8vo. München 4.XI.1854.
An einen Hobby-Lyriker, der ihm ein Konvolut Gedichte zur Prüfung und ggf. Überreichung beim bayerischen König übersandt hatte. Geibel antwortet ausführlich und geduldig. "... Was zunächst Ihren Wunsch in Betreff der Bianche und des Rosenmärchens angeht, so bedaure ich sehr denselben nicht erfüllen zu können, indem bei den strengen hier waltenden Formen eine solche Ueberreichung mir durchaus nicht zusteht. Wollen Sie die Werke dem Könige vorlegen, so kann dies nur auf dem geschäftlichen Wege geschehen; d. h. Sie müssen direkt an ihn schreiben und Brief und Bücher an das K. Kabinet einsenden. Doch glaube ich - offen gestanden - kaum, daß ein solcher Schritt von irgendwelchem Erfolg sein würde; ja er dürfte, wie das bei ähnlichen Fällen vorgekommen ist, selbst ohne Rückäußerung bleiben, da der Monarch in folge dessen, was er für literarische Zwecke gethan, von bayerischen und nichtbayerischen Dichtern mit einer wahren Sündflut poetischer Zusendungen überschwemmt wird ...". Er, Geibel, habe nun die Gedichte des Adressaten gelesen und z. T. mit Anmerkungen versehen. "... Leider muß ich gestehen, daß der Gesammteindruck kein befriedigender war. Die Summe von neuen Gedanken und eigenthümlichen Empfindungen, die sich in der ganzen Sammlung findet, erscheint zu deren Umfang verhältnißmäßig nur gering, eine tiefere für Ihr persönliches Wesen bezeichnende Weltanschauung tritt fast nirgends hervor ... So kann ich nicht zu einer Veröffentlichung rathen, die dem Publikum wenig Gewinn, Ihnen selbst aber - wie Sie bald erkennen dürften - wenig Freude bringen würde ...". Auch eine Übersetzung der "Henry'schen Poesien" kann Geibel nicht recht erfreuen: "Der Verfasser scheint nach seinen Gedichten einer jener sonderbar liebenswürdigen Charaktere zu sein, wie sie das grüne Irland so oft hervorbringt, eine poetische Natur, kein Poet. Man gewinnt den Menschen lieb, wenn man die Verse liest; die englische Literatur aber hat mit denselben wohl ebenso wenig einen Schritt vorwärts gethan, als die deutsche durch ihre Uebertragung ...".
George-Kreis. - Gundolf, Friedrich, Literaturhistoriker, Professor in Heidelberg, Mitglied des George-Kreises (1880-1931). Eigh. Ansichts-Postkarte m. U. "Friedrich Gundolf". (Heidelberg 31.XII.1920?).
An Familie Dr. C. A. Klein in Hamburg. "Die besten Wünsche zum neuen Jahr, auch von meiner Frau, und Dank für das freundliche Gedenken sendet Ihr Friedrich Gundolf". Die Karte (Orig.-Photographie) zeigt eine große Villa in Heidelberg, möglicherweise die Villa Lobstein von der Bergseite.
- Hellingrath, Norbert von, Münchener Germanist, Schüler Friedrich von der Leyens, mit Wolfskehl befreundet, Wiederentdecker und wissenschaftlicher Herausgeber Hölderlins (1888-1916, an der Westfront gefallen). Konvolut von 4 Typoskripten. Zus. 72 Bl., einseitig beschriftet. Gr. 4to. Lose Bl. in einem Halbleinen-Deckel d. Z. (München 1905-1908).
2 Arbeiten aus dem Seminar von der Leyens und 2 Gymnasial-Aufsätze des mit 28 Jahren im Krieg gefallenen, hoch talentierten Germanisten, der einen Teil seiner Hölderlin-Entdeckungen in Stefan Georges "Blättern für die Kunst" veröffentlichte. Hier liegen, aus Friedrich von der Leyens Nachlaß, die vollständigen Typoskripte von folgenden Arbeiten Hellingraths vor: "Ueber Verlaineübertragungen von Stefan George" (31 Seiten, 28. Juni 1907). - "Der Aphorismus bei Friedrich Nietzsche und den französischen Moralisten (Pascal, Rochefoucauld, La Bruyère, Vanvenargues)" (27 S., 1908). - Die 1905/06 entstandenen Schul-Aufsätze "Inwiefern passt auf Schiller selbst das Wort: 'Er preiset das Höchste, das Beste'?" (8 S.) und "Reform und Revolution. Vergleichende Entwickelung" (6 S.). - Vor allem die Seminar-Arbeiten über George und Nietzsche sind von höherer Qualität und zeigen einen hoffnungsvollen jungen Gelehrten, dessen früher, sinnloser Tod noch heute schmerzlich berühren muß.
- Lechter, Melchior, Maler, Graphiker, Schrift- und Buchkünstler, als Mitglied des George-Kreises prägte er dessen Veröffentlichungen (1865-1937). Eigh. Postkarte mit Orig.-Federzeichnung sowie Widmung u. U. „Melchior". 1 S. Berlin 2.II.1901.
An seine Schwester Anna Lechter in Münster. "Seiner lieben Schwester herzlichen Gruss: Melchior". In symmetrisch gestalteter Schrift unter einer kreisförmigen Federzeichnung: Durch die Wolken ragende steile Bergspitzen unter sternenbesätem Himmel; eine von rechts unten ins Bild ragend zierliche Hand hält eine Rose.
- (Lechter, Melchior) Eigh. Ansichts-Postkarte m. U. "ML". 1/2 S. Berlin 23.V.1928.
An Marga Oppenheimer in Heidelberg. In einer Schrift, deren bekannte Qualität hier durch eine Augenoperation des Künstlers etwas eingeschränkt ist. "... aus Dahlem wurde leider nichts, da es gewitterte u. in Strömen goss. Auch das Schreiben ist durch die Augen-Operation recht beschwerlich: ich sehe nichts, alles verschwimmt mir beständig. Lesen kann ich gar nicht, auch nicht arbeiten; den ganzen Tag untätig zubringen, das ist trüb. Doch Julia Culp tröstete mich mich mit ihrer süssen, beseelten Stimme. Vorhin liess ich sie, ihr zur Freude, auf- und niederschweben wie auf weichem Lichtgefieder ...". - Darüber, in ähnlicher Schrift, ein elfzeiliger Text mit Grüßen einer Elisabeth (Gundolf?). - Die Bildseite der Karte zeigt ein Fleet in Hamburg. - Dabei: 2 Postkarten an Melchior Lechter: I. Gemeinschafts-Postkarte aus München, mit Grüßen von dem Schriftsteller Richard Dehmel ("Wann sehn wir Sie in Florenz?") samt Ehefrau, dem Pianisten Conrad Ansorge ("Wann seh' ich Sie in Westend?") und dem Musikschriftsteller Dr. Arthur Seidl (3.II.1900). - II. Ansichts-Postkarte aus Darmstadt von "W. de Haan", d. i. vermutlich der Pianist, Dirigent, Komponist und langjährige Darmstädter Hofkapellmeister Willem de Haan (1849-1930). Sie ist adressiert an "Herrn Melchior Lechter bei Herrn Dr. Wolfskehl, München, Römerstrasse 16I.". Wolfskehl war mit Hanna de Haan verheiratet, die Willem auf der Karte auch erwähnt: "... Geniessen Sie München mit Hanna und Karl von ganzem Herzen" (Darmstadt 5.XI.1917).
Gerstäcker, Friedrich
Gutachten 1847 über das Elend im Erzgebirge
Los 2041
Zuschlag
13.000€ (US$ 13,978)
Über Armut und Auswanderung im Erzgebirge
Gerstäcker, Friedrich, weit gereister Schriftsteller und Abenteurer, authentischer Schilderer Amerikas und Asiens (1816-1872). Eigh. Gutachten in Briefform m. U. "Friedrich Gerstäcker". 91/2 S., eng beschrieben. Folio. O. O. u. J. (wohl Dresden 1847).
Wohl an einen sächsischen Minister ("Excellenz"). In dessen, also amtlichem Auftrag erstelltes, sehr umfangreiches Gutachten des Experten für Emigration über Armut und Elend der durch die englische Industrieware brotlos gewordene Spitzenklöppler-Bevölkerung des Erzgebirges und Möglichkeiten der Besserung durch organisierte Auswanderung. Auf mehr als neun Folioseiten schildert Gerstäcker in eindringlicher Weise die dortigen Verhältnisse und stellt Überlegungen an, wie nicht etwa durch Investitionen im Land, sondern durch staatlich gelenkte Auswanderung Abhilfe geschaffen werden könnte. "... Ich bin fest davon überzeugt, daß der Noth und dem nackten Elend unseres Erzgebirges auf keine andere Art möglicher Weise abgeholfen werden kann, als durch eine Auswanderung, und zwar Auswanderung nach einem großartigen allgemeinen Plan, der von der Regierung selbst, ausgehen und geleitet werden müßte. Das Geschlecht jener Gebirge ist durch Noth und Mangel langer Leidensjahre entnervt und erschlafft und die ungeheuere Bevölkerung jenes armen Landstrichs hat es, trotz allen und gewiß in vieler Hinsicht segensreichen Bemühungen der Regierung, zur Unmöglichkeit gemacht, so auf die Erziehung der heranwachsenden Jugend einwirken zu können, um die unwissende Masse aus ihrer Lethargie aufrütteln, und mit dem jetzt rasend schnell weiter treibenden Leben fortreißen zu können. In seine Berge eingeschlossen, deren Horizont ihm die Welt scheint, verbrütet der Gebirger seine Tage, und kommt er je einmal hinaus in's flache Land, treibt ihn die entsetzlichste Noth dazu, den heimischen Heerd zu verlassen, so sieht er sich, seiner Ungeschicklichkeit, seines linkischen Benehmens wegen, bald verlacht ... Es ist denn auch, meiner Ansicht nach, mehr die geistige Stumpfheit, die den Armen gleichsam in den Fluch seiner Umgebung bannt, und es würde den angestrengtesten Bemühungen des Staates sicherlich nur nach langen langen Jahren und mit ungeheueren Opfern - wenn überhaupt - je gelingen ihn soweit heranzubilden, um diese Art von Wahnsinn ... zu besiegen. Die Noth ist dort aber gegenwärtig zu einer Höhe gestiegen, die jeden Menschenfreund mit größter Besorgniß erfüllen muß. Die Arbeiter jener Districkte, denen das englische Fabrikwesen eine so fürchterliche und nicht zu bekämpfende Concurrenz eröffnet hat, gehen nicht einmal mehr mit langsamen Schritten, nein sie fliegen förmlich ihrem Verderben entgegen ...".
Kommt dann auf die Teuerung, die Lebensmittelpreise und die Lohnentwicklung der Jahre 1846 und 1847 zu sprechen und fürchtet Schlimmstes bei einer neuen Teuerung: "... wenn dann die Unglücklichen mit den heruntergedrückten Löhnen nicht einmal mehr im Stande sind ihr elendes Leben zu fristen, und nun gänzlich vom Staat erhalten werden müssen, wenn sie nicht elendiglich verderben sollen, denn eine Empörung gegen das Bestehende ist von diesem Geschlecht nicht zu fürchten, sie würden, ohne eine Hand für sich selbst zu heben, von ihren Klöppelstühlen fallen und sterben. Allerdings tragen die sogenannten Facktoren große Schuld an dem Elend der Armen ... Sie drücken die Preise mehr und mehr herunter und zwar gewaltsam herunter, indem sich der unglückliche Klöppler, der seine Arbeit augenblicklich verkaufen muß, um nur das nothwendigste Brod zu haben, gezwungen sieht, ihren oft niederträchtigen Bedingungen zu fügen. Auch das scheußliche Trucksystem fängt an von Einigen dieser Händler wieder eingeführt zu werden ...". Berichtet dann von einem solchen Händler in Großgöhlen, "der die armen Kinder großen Theils mit Waaren ablohnen soll, die sie für einen Spottpreis wieder verkaufen müssen. Als ich in Breitenbaum war, kam auch ein kleines Mädchen und bat die Pastorinn dort um Gotteswillen ihr ein Stückchen Cattun, das sie um sieben Groschen hatte annehmen müssen, wieder abzukaufen, da sie sonst nicht wüßte, wovon sie leben sollten ...
Hier, in diesem fürchterlichen endlosen Jammer, ist es nur die Auswanderung, die helfen, die retten kann. Mir brach fast das Herz, als ich in die Hütten der Elenden trat, als ich die Jammergestalten sah, die hier vergingen und verdarben und mir nun sagen mußte 'dort, dort liegt ein Land, in dem Alle - alle diese glücklich werden könnten - gar nicht so weit entfernt, dehnt es sich mit seinen fruchtbaren Flächen und Wäldern aus - für alle eine Heimath, aber - sie können es nicht erreichen ...". Geht nun sehr ausführlich auf die Vorzüge dieser neuen Heimat Amerika und auf die Organisation der Massen-Auswanderung ein, wobei er mehrmals den 1846 erschienenen "Rathgeber für Auswanderungslustige" von Traugott Bromme zitiert und dazu bemerkt: "Herr Bromme kennt allerdings Amerika, durch einen längeren Aufenthalt daselbst, genau genug, und weiß ebenso gut wie ich, von wie segensreicher Folge eine Uebersiedlung der Proletarier dorthin, nicht allein für die Uebersiedelten, sondern auch für die, durch Hinwegschaffung so bedeutender Concurrenz sich freier regenden Zurückbleibenden sein würde, aber er scheint die Menge unserer Proletarier nicht in's Auge gefaßt zu haben, er hat noch keinen Blick in das massenhafte Elend der Armen gethan, er würde sonst nicht von 800-1000 Auswanderern für ganz Deutschland reden, wo, meiner Meinung nach, 20.000 allein aus dem Erzgebirge fortgeschafft werden müßten ... Meiner Ansicht nach müßten, besonders aus dem Klöppeldistrickt, da gerade das Klöppeln seine Opfer dem gewissen Verderben entgegentreibt, zwanzig tausend Arme, und zwar keineswegs durch Vereine, deren Kräfte das weit übersteigen würde, nein, durch die Regierung selbst, nach Nord Amerika übersiedelt ... werden ...". Stellt dann sehr ausführlich die Vorteile und Segnungen der Ansiedlung in Amerika den Zuständen und aussichtslosen Prognosen im Erzgebirge gegenüber, erinnert an die Entwicklung der sozialen und politischen Verhältnisse in Sachsen und ruft dazu auf, von Regierungsseite zum Wohle des sächsischen Volkes die Auswanderung zu organisieren und zunächst einmal 1 Million Taler zu Verfügung zu stellen, 50 Taler für jeden Emigranten. Auch der moralische Gewinn, den sich die sächsische Regierung durch diese Maßnahme erwerbe, sei nicht zu unterschätzen. "... Das, Excellenz, ist nur der kurze Entwurf eines großen Werkes, und gebe Gott, daß er Ihnen zum Herzen spricht ...". - Der Plan blieb natürlich Wunschtraum, und die Revolution im nächsten Jahr nahm die öffentliche Aufmerksamkeit erst einmal anderweitig gefangen. - Höchst bedeutende Quelle zur Sozialgeschichte Deutschlands im allgemeinen und des Erzgebirges im Besonderen sowie der Auswanderer-Bewegung am Vorabend der 1848er Revolution.
Gervinus, Georg Gottfried, Literaturwissenschaftler, liberaler Historiker und Politiker, einer der „Göttinger Sieben" (1805-1871). Eigh. Brief m. U. „Dr. Gervinus". 11/2 S., in winziger Schrift. Mit blindgepr. Monogramm. Gr. 8vo. Heidelberg 8.III.1860.
Politischer Brief an den Coburger Diplomaten Christian Frhr. von Stockmar (1787-1863), einflußreicher Staatsmann, enger Berater und Freund von Königin Viktoria und Prinz Albert von Großbritannien. Gervinus, kämpferisch wie in alten Zeiten, versendet ein Zirkular mit dem Ziel, die "Deutsche Zeitung", die in den 40er Jahren unter seiner Redaktion zu einem wichtigen und einflußreichen Sprachrohr der gemäßigten Liberalen in Deutschland geworden war, wieder aufleben zu lassen. "... Das Projekt, das die Beilage betrifft, wird sie an frühere Zeiten erinnern und sie wahrscheinlich lächeln machen. Mir aber ist es ein bitterer Ernst damit. Mich läßt es nicht schlafen zu sehen, in welchen trübseligen Wahn dieß unberathene Volk seit vorigem Jahre hineingestürzt ist und wie die Presse nicht ruht, diese Bethörungen zu unterhalten. Ich habe alle Lust und den besten Wunsch, mich aller Wuth und alter Bosheit blos zu stellen, um hier im Süden dem verderblichen Wirken der Allg. Zeitung entgegen zu arbeiten und dem Austriacismus wie der Franzosenfresserei gleichmässig die Stirn zu zeigen ... Ich mache mir nicht die geringsten Illusionen, dass es nur ein Versuch ist, den wir mit dem Circulare machen, und daß er scheitern kann. Die Zeit kreist mit mancherlei großen Dingen, aber die Geburtsstunde scheint noch fern zu liegen; es ist bei aller Bewegung eine seltsame Lähmung da; und ich könnte mir denken, daß unser Entwurf an den bloßen Befürchtungen vor aller Entschiedenheit scheitern könnte. Käme er doch zur Ausführung, so dürfte ich wohl seiner Zeit ... vor Ihnen erscheinen, um mir guten Rath zu guten Verbindungen zu holen ...". Von Stockmar erhoffe er sich die nötige Unterstützung für sein Unternehmen. Aber es blieb bei dem "Versuch". - Gervinus war 1848 Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung gewesen und hatte sich dort für die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung eingesetzt. Nach dem Scheitern der Revolution wandte er sich seinem wissenschaftlichen Hauptwerk, der 8bändigen "Geschichte des 19. Jahrhunderts" zu.
Goethe, Johann Wolfgang von, Dichter und Staatsmann (1749-1832). Eigh. Gedichtmanuskript m. U. "JW Goethe" und Datum. Geschrieben unter einem koloriertem Kupferstich. 19,5 x 13 cm. Weimar 30.III.1826.
Unter der kolorierten Abbildung eines schwebenden Genius, der zur Erdkugel unter sich und zum Himmel über sich zeigt, hat Goethe die 4 Anfangszeilen eines 1826 entstandenen Gedichtes geschrieben: "Zwischen oben, zwischen unten / Schweb ich hin zu muntrer Schau; / Ich ergötze mich am Bunten, / Ich erquicke mich am Blau." - Das Bildchen gehörte zu den Emblemen, die Goethe bei der Jubiläumsfeier Carl Augusts am 3. September 1825 an seinem Hause angebracht hatte. Im darauffolgenden Jahr schrieb er erläuternde Sprüche dazu und benutzte mit diesen Emblemen illustrierte, gestochene Blätter, mit Text versehen, als Albumblätter und zur Versendung an Freunde. Am Tag der Entstehung des vorliegenden Blattes empfing Goethe den Besuch des J. N. Hummel-Schülers Ferdinand Hiller.
Goethekreis. - Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1783-1853). Brief m. U. "Charles Frédéric Grand Duc de Saxe". In franz. Sprache. 2/3 S. 4to. Weimar 26.XII.1835.
Sehr freundlicher Brief an die hervorragende Violinistin Regina Schlick, geb. Strina-Sacchi, deren Sohn Johann Friedrich Wilhelm Schlick (Violoncellist der Dresdener Hofkapelle und Instrumentenbauer, 1801-1874) ein Konzert in Weimar gegeben hatte. "... J'ai été bien faché d'être privé du plaisir d'entendre le concert que Mr Votre fils avoit l'intention de donner ici dans le courant de l'Automne. Mais lors de son arrivée à Weimar, mon départ de cette ville m'a empêché de jouir de cet agrément. Cela m'a été très pénible de ne pas pouvoir satisfaire à la prière que vous m'aviez adressé à cet égard ...". - Mozart hat bekanntlich seine große Sonate in B-dur für Regina Strina-Sacchi geschrieben. - Gleichmäßig etwas gebräunt; Erhaltungsmängel durch (teils unterlegte) Faltenrisse.
Eckermann über Goethe
- Eckermann, Johann Peter, Schriftsteller, Goethes enger Vertrauter und Mitarbeiter, Herausgeber seiner berühmten "Gespräche mit Goethe" (1792-1854). Eigh. Brief m. U. "Eckermann". 2 S. 4to. Weimar 13.IV.1832.
Nach Goethes Tod an (die nicht genannte) Emilie von Spiegel, geb. von Stolberg, die Gemahlin des Ober-Hofmarschalls Carl Emil Freiherrn Spiegel von und zu Pickelsheim, der von 1828-1847 die Leitung des Weimarer Hoftheaters innehatte. Eckermann schreibt ihr: "Auszug aus meinem Tagebuche. Goethe erzählte bey Tisch, daß der junge Herr v. Spiegel ihn besucht und ihm über die Maßen wohl gefallen. 'Er ist ein sehr hübscher junger Mann, sagte Goethe, und er hat in seiner Art, in seinem Benehmen ein Etwas woran man sogleich den Edelmann erkennet. Seine Abkunft könnte er ebensowenig verleugnen, als jemand einen höheren Geist verleugnen könnte. Denn Beydes, Geburt und Geist, geben dem der sie einmal besitzet ein Gepräge [...].' Ich kam nicht umhin, Ihnen gnädige Frau, Vorstehendes mitzutheilen. Denn da Goethes Worte schon für mich ein solches Intereße hatten daß ich sie aufschrieb, so dürften sie für die Mutter des jungen Mannes über den er sie aussprach, von noch höherer Bedeutung seyn ...". - Der junge Karl von Spiegel hatte Goethe am 25. Februar dieses Jahres besucht; am 22. März war der Dichter gestorben. - Es dürfte sich hier um eines der ersten von Eckermann bekannt gemachten Zitate aus seinen "Gesprächen mit Goethe" handeln. Bis auf geringfügige Abweichungen entspricht der Text bereits weitestgehend dem späteren Abdruck in den "Gesprächen" (vgl. die Ausgabe von H. H. Houben, 1948, S. 403).
- Herder, Johann Gottfried von, Dichter, Sprachforscher und Philosoph, der große "Anreger" der deutschen Klassik (1744-1803). Eigh. Brief m. U. "Herder". 2 S. Kl. 4to. Weimar 11.VI.1787.
An Georg Joachim Göschen, den Verleger von Goethes erster rechtmäßiger Gesamtausgabe in 8 Bänden, dem Herder für das ihm "zugesandte Geschenk des Ex. der Göthischen Schriften", nämlich der ersten 4 Bände, seinen "verbindlichsten Dank" ausspricht, aber zugleich bemängelt: "... Mich dauert es sehr, daß in so Manchem die Ausgabe nicht so ausgefallen ist, als ich aus warmem Eifer für den Verf. u. den Werth der Schriften selbst wünschte. Indessen sind über geschehene Misfälle die spätern Worte vergeblich. - Unter den Subscribenten, die ich Euer Hochedelgeb. durch Hrn. C. R. Bertuch zu übersenden die Ehre hatte, befinden sich auch H. Mag. Münter in Coppenh. / H. Graf Thun in Prag / H. Stingel von Stingelsheim [recte: Stingelheim] eben daselbst, an welche ich die Ex. zu senden keine Gelegenheit habe ...". Bittet Göschen, die Exemplare selbst durch Buchhändler ausliefern zu lassen. - Da Goethe seine Italienreise im Herbst 1786 angetreten hatte - auch zur Fertigstellung seiner Werke - betreute Herder den Druck. Goethe berichtet in seiner "Italiänischen Reise" über die Edition: "Ich hatte nach Karlsbad meine sämtlichen Schriften mitgenommen, um die von Göschen zu besorgende Ausgabe schließlich zusammen zu stellen. Vogel begleitete mich auch diessmal, um mir durch seine Fertigkeit beizustehen. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, die vier ersten Bände, unter der treusten Mitwirkung Herders, an den Verleger abzusenden". - Auf dem oberen Rand der 2. Seite Göschens Empfangsvermerk.
Über den Krimkrieg
- Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar, Witwe des Großherzogs Karl Friedrich, geb. Großfürstin von Russland (1786-1859). Brief m. U. "Marie GD de Russie et de Saxe". In franz. Sprache. 11/2 S. Gr. 4to. Weimar 12./24.II.1855.
An einen der von ihr sehr geschätzten Brüder Grimm, der ihr zum Namenstag gratuliert und ihr, anläßlich des Krimkrieges, Lektüre über die Halbinsel Krim empfohlen hatte. "... Quant aux publications, donc vous faites mention dans votre lettre, je les ai parcouru avec d'autant plus d'intérêt, que ne connaissant pas la Crimée par moi-même, toute description d'elle m'instruit et me donne une idée plus claire de la contrée, le théatre de la guerre actuelle, du courage et de la vaillance de nos braves défenseurs. Dieu veuille qu'une paix honorable finisse bientôt cette cruelle lutte ...". - Nach der Entlassung der "Göttinger Sieben" hatte sich Maria Pawlowna vergeblich dafür eingesetzt, die Brüder Grimm nach Weimar zu holen. - Faltenrisse.
- Voß, Heinrich, Philologe, Sohn des Hainbund-Dichters und Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß, ab 1806 Professor für griechische Literatur in Heidelberg (1779-1822). Eigh. Brief m. U. "Heinrich Voß". 3 S. 8vo. Jena 9.XII.1803.
An seinen Freund Gabriel Gottfried Bredow (1773-1814), seit dem Abgang von J. H. Voß Rektor des Gymnasiums in Eutin. Da Bredow eine Professur in Helmstedt annehmen wollte, bemühte sich Heinrich Voß, der gerade sein Studium in Jena abgeschlossen hatte, mit Hilfe seines Vaters um Bredows Nachfolge in Eutin. Heinrich erörtert diese Situation und kommt dann auch auf die Jenaische "Allgemeine Litteraturzeitung" und ihren Herausgeber Eichstädt zu sprechen. "... Ich habe Ihren Vorschlag mit meinem Vater durchdacht, und Sie sehen die Früchte davon in den Briefen an den Fürsten, Holmer und Götschel. Gott gebe, daß unsere heißen Wünsche erfüllt werden - dann wäre die Rectorstelle mein ... Das erste Gefühl beim Lesen Ihres Briefes war eine bange Freude, die mir durch alle Glieder zuckte. Aber ohne meinen Vater wäre sie in Schüchternheit übergegangen. Ich fühlte mich zu geringe gegen meine Vorgänger. Aber ich habe Mut und Selbstvertraun, und durch sie wird das schwerste leicht. Ihre Aufmunterung und Hellwags freundschaftliche Aeußerung waren nicht wenig schmeichelhaft für mich ... Mein Vater hat mit an den Fürsten und Holmer geschrieben. Seine Fürsprache muß das meiste thun, da ich ersterem völlig unbekannt, letzterem nur als Knabe bekannt bin. Vielleicht kömmt es mir jezt auch zu Statten, daß ich meines Vaters Sohn bin. - Wichtig wird mir diese Bewerbung immer sein, auch wenn ich die Stelle nicht erhalte ... durch den Eifer den sie in mir zum Arbeiten erregt hat ... Daß Eichstädt fürs erste einen Arbeiter an Ihnen verliehrt wird ihm für seine Zeitung leid thun. Aber Sie werden zurückkehren. Auch versprechen Sie ja eine Recension noch vor Weihnachten zu schreiben. Er selbst tummelt sich noch in der mechanischen Anordnung herum, sehnt sich aber nach der Ruhe, die ihm zu eigenen Arbeiten im philologischen Fache nöthig ist. Denken Sie, auch mein Vater will Beiträge geben, und zwar eine Anzeige Klopstockischen Gespräche fürs erste. Dem Schütz gönne ich ein recht eigentliches pereat, wegen seiner Anmaßung und Planmacherei. Die preußische Zeitung wird gewiß sinken. Schütz fürchtet es selbst, sonst hätte er nicht so darauf gedrungen, die jenaische Zeitung als ein ausheimisches Fabrikat durch einen Cabinetsbeschluß verbieten zu lassen ...". - Die vierte Seite ist zur Hälfte noch mit einer Nachschrift von Heinrichs Mutter Ernestine Voß gefüllt: "Ein paar Augenblik sind mir noch übrig geblieben Lieber Bredo [sic], die muß ich anwenden, um Ihnen unsern herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer Versezung zu bringen. Jawohl halten wir es mit Ihnen für ein Glük daß Sie kein Bedenken tragen mußten, gleich anzunehmen. Wir wagen nicht ganz ohne Hofnung den Versuch zu dem Sie Heinrich aufmuntern, es würde uns sehr glüklich machen wenn es gelänge. Das dachten wir nicht, daß wir uns in Helmstedt zuerst wieder sehen würden, den nun besuchen wir Sie im Frühling ganz gewiß. Voß grüßt herzlich mit mir Sie und Ihre Liebe Frau, und wir segnen den Neugebohrnen. Ihre Freundin E. Voß." - Heinrich Voß hoffte vergeblich auf die Eutiner und andere Stellen, so daß sich schließlich Goethe für ihn einsetzte und ihm eine Lehrerstelle am Weimarer Gymnasium verschaffte, bis er 1806 als außerordentlicher Professor in Heidelberg antreten konnte. - Die erste Seite etwas fleckig.
"Agitator für uns Modersprak"
Groth, Klaus, schleswig-holsteinischer Dichter (1819-1899). Eigh. Brief m. U. "Klaus Groth". 8 S. Auf blauem Papier, Gr. 8vo. Kiel 5.XI.1875.
Sehr umfang- und inhaltsreicher Brief über seine Werke und die plattdeutsche Sprache; an einen Freund in Schwerin, den er gern besucht hätte, wenn er nicht durch Krankheit seiner Frau daran gehindert wäre. "... Meine drei Knaben, von 13-9 Jahren sind gesund, wohlgebildet, herzensgut, nicht bedeutend, wie es scheint. - Von mir erscheint - gedruckt ists schon - ein kleiner Band Novellen: Ut min Jungsparadis, den Herr Stilke Ihnen schiken wird. Der gestrenge Müllenhoff hält davon das erste (das er nur kennt) für mein Bestes. Mögen sie denn auch Ihnen gefallen und Freude machen! - Von einer neuen Novelle Int Fährhus habe ich etwa 70 Quartseiten geschrieben. Außerdem schreibe ich gleichzeitig ein plattdeutsches Idyll in vierfüßigen gereimten Jamben: Sandburs Dochder. Davon sind 500 Zeilen fertig. Beides möchte ich Ihnen - auch unfertig - einmal vorlesen! Eine kleine Zahl Balladen und andere Gedichte habe ich auch fertig. Über die Art der Herausgabe bin ich noch nicht schlüssig. Wir sind im Plattdeutschen doch wieder auf den alten Standpunkt reducirt, daß man eigentlich nur lachen will. Ein Heftchen hochdeutscher Liebeslieder an meine Frau liegt seit Jahren druckfertig. Das herauszugeben scheue ich mich noch mehr. Die Goethestiftung und Geibels Votum haben insofern ein gutes Werk an mir gethan, daß sie meinen Muth etwas wieder gehoben: Ganz zufällig sah ich Geibel kurz vordem mir die Entscheidung mitgetheilt wurde (Ich wußte nicht einmal von der Existenz der Stiftung). Zu meinem Erstaunen erzählte er mir, daß er den ganzen Sommer so zu sagen meine Sachen studirt habe. 'Und muß dir es einmal sagen, lieber Freund, daß dein Heisterkrug nicht nur das beste ist, was du gemacht hast, sondern wohl das schönste Idyll, das in einer Sprache geschrieben ist.' Nachdem erfuhr ich durch einen Brief von ihm, daß sein Votum schon 14 Tage in Weimar damals gelegen. Mir zog sein Wort bis in die Glieder und ich merkte recht wie nöthig ich es hatte. Denn wo hat man sich eigentlich recht um den Heisterkrug gekümmert? Und es steckten vier Jahre sorgfältigster Arbeit darin! ... Aber ich fahre fort, wie Sie sehen, in meiner Art zu producieren. Bin auch im Grunde ganz zufrieden, wenn nur nicht Krankheit mein Haus melancholisch machte.
Ich bin übrigens die letzten Jahre fast mehr Agitator für uns Modersprak gewesen, als Poet. Auch das gäbe ein interessantes Kapitel der Unterhaltung, wenn wir einmal einige Tage mit einander persönlich verkehren könnten ... Daß ich 1872 in England gelesen, 1873 in Holland wissen Sie wohl. Auch von der großartigen Plattdeutschen Bewegung in Nordamerika, speziell New-York? Wo hunderttausende 7 Tage lang Modersprak redeten auf einem großen Fest, Fahnen trugen, Medaillen mit den Bildern heimischer plattdeutscher Dichter, ein plattd. Wochenblatt Uns' Modersprak gründeten? Da steckte ich am Anfang dahinter, habe eine ausgedehnte plattdeutsche Correspondenz geführt, manche Briefe von 20 Seiten! Festgedichte geliefert! so daß zum Schluß mir einer der Hauptagitatoren schreibt (er schreibt gleich von Anfang per Du): Dar kann man sehn wat darus waren kann, wann man an unbekannten Minschen sin Breef beantwort, us Du dan hest! - Für das Wochenblatt schreibe ich noch oder schicke was ich kann ... Während das Fest in NY, gefeiert wurde, tagte in Maastricht der niederländische Spachcongreß. Ich hatte versprochen zu erscheinen und plattdeutsch über Plattdeutsch zu reden ...". Wegen der Krankheit seiner Frau habe er nicht hinfahren können, aber ein Dr. Hansen aus Antwerpen habe Gedichte von ihm vorgelesen. Darauf habe ein Brüsseler Wochenblatt berichtet: Jedermann verstand ihn. "... Es war aber auch ein geborener Afrikaner dabei, ein Mann aus der Transvaalschen Republik, der 'gierig' dem Dr. H. das Wort vom Munde ablauschte und es fast nicht glauben konnte, daß er, 3000 Meilen von Ditmarschen entfernt, von Kind auf Groths Muttersprache geredet habe ...". - Er freue sich, daß der Adressat wieder Kirchenlieder "übersetze" und dankt für einen Gruß von dem Kirchenlied-Forscher Philipp Wackernagel. - Beiliegend eine gedruckte Visitenkarte "Dr. Klaus Groth - Doris Finke. Kiel - Bremen".
Gurk, Paul, Schriftsteller und Berliner Verwaltungsbeamter, 1921 Kleist-Preisträger, fruchtbarer, früh vergessener literarischer Außenseiter (1880-1953). Eigh. Manuskript und eigh. Brief m. U. "Paul Gurk". Zus. 4 S. (Tinte bzw. Kugelschreiber). Gr. 4to bzw. gr. 8vo. Berlin 14.I.1950 bzw. o. D.
"Sprüche aus den anderen Sprüchen des Fu-Kiang anstelle einer Selbstbiographie". 12 Aphorismen und Sinnsprüche auf 2 Bl., am Schluß mit "Paul Gurk" signiert: "Gefährlich ist es, ein Werk zu beginnen. Wird es nicht zu Ende geführt, so drückt es zu Boden. Wird es vollendet, so richtet sich ein zweites dahinter auf wie ein erwachter Riese ...". Am Schluß: "Von den Zweigen tropfte die Heftigkeit des rauschenden Regens, als die Sonne hervorkam und in den Tropfen schillerte. So tut die Kunst mit dem Übermass des Leides." - Anscheinend eine Art Fortsetzung des 1927 in Lübeck erschienenen Buches "Die Sprüche des Fu-Kiang". - Mit stellenweise etwas verlaufener Tinte auf dünnem Papier. - Der Brief (Berlin 14.I.1950) ist an den Verleger Günter A. Richter gerichtet. Von den bei Richter liegenden Manuskripten Gurks erbittet er sich die Novelle "Die Traumstadt des Meisters Ni-en-kung" zurück, weil der Weichert Verlag eine Novelle von ihm wünscht. Diese und zwei neue Novellen wolle er Weichert zukommen lassen. Dieser zahle zwar nur in Ostmark und davon gingen sogleich 9% Steuer ab, "aber da der Westen überhaupt nichts macht und in Berlin nur gegen Ostmark gekauft [?] wird, so ist der Effekt derselbe. Nur die Not kann einen Westberliner auf solche Dinge eingehen lassen ...". - Beklagt dann seine schriftstellerische und wirtschaftliche Situation, Autorenhonorare und Berlin-Probleme. - Auf leicht vergilbtem Nachkriegspapier.
Hahn-Hahn, Ida Gräfin, Tochter des "Theatergrafen" Hahn-Neuhaus, weit gereiste Schriftstellerin, besonders wegen ihrer Orient-Schilderungen berühmt (1805-1880). Eigh. Gedicht-Manuskript. 13/4 S. Gr. 8vo. O. O. (27.XI.1828?).
"Das Buch der Verheißung". 7 Strophen zu je 6 Zeilen: "Ein Buch der Verheißung ist milde gegeben / Zum Troste dem Menschen im irdischen Leben, / Das ewig aufs Neue erstärkt u. erquickt. / Es ist nicht von sterblichen Händen geschrieben / Und Menschenwitz kann's nicht erklären noch trüben, / Doch jeder versteht's, der es Einmal erblickt ... Solltest du jemals ermatten, zu lieben, / Wär dir vom Schmerz dieser Zweifel geblieben, / Rette hinauf dein verzagendes Herz. / Ueber den Sternen wird Liebe noch leben! / O Wort der Verheißung, du bist uns gegeben / Als heilender Balsam für jeglichen Schmerz." Unter dem Schluß mit dem Datum "Nov. 27.28." versehen. - Der geistlich zu deutende Inhalt spricht für eine eher späte Entstehungszeit des Gedichts, als die Verfasserin sich dem katholischen Glauben zugewandt und in Mainz ein Kloster gegründet hatte. - Gering fleckig und mit leichten Knitterspuren.
Hauptmann, Gerhart, Dramatiker und Erzähler, Nobelpreisträger (1862-1946). Regiebuch zur Aufführung seines Märchendramas "Die versunkene Glocke". Druck der 19. Auflage, Berlin, S. Fischer, 1897. 4 Bl., 175 gedruckte S., vollständig durchschossen mit weißen Quartblättern, die allesamt beschriftet oder mit Skizzen versehen sind (Feder, Kopierstift und Bleistift). Schlichter Halbleinenband d. Z. (Gebrauchsspuren). (Wohl Berlin, Ende 1896).
Das Vortitelblatt des Druckes trägt den handschriftlichen Besitzvermerk "Emil Ludwig". Der Schauspieler Emil Ludwig (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schriftsteller) gehörte zu Otto Brahms Ensemble, als dieser am 2. Dezember 1896 Gerhart Hauptmanns neuromantisches Märchendrama am Deutschen Theater in Berlin zur Uraufführung brachte. Die Besetzung dieser Premiere ist handschriftlich beim Personenverzeichnis eingetragen: Josef Kainz (alternativ: Eduard von Winterstein), Emanuel Reicher, Agnes Sorma, Paul Biensfeldt, Rudolf Rittner, Else Heims und andere. Auf den eingeschossenen Blättern sind - von mehreren Händen - nicht nur die Bühnengrundrisse der verschiedenen Schauplätze penibel eingezeichnet, sondern auch sämtliche Stellungen, Gänge und Bewegungen der Schauspieler vermerkt, jeweils durch verschiedene Zeichen mit dem gedruckten Text korrespondierend. Die Vollständigkeit und Genauigkeit sowohl der Schauspielerführung als auch der technischen Details in den Eintragungen ("Das rothe Licht hinter dem Prospect setzt hier langsam ein, auch die untere Vorderrampe wird ganz langsam roth eingeschaltet, so daß zum Schluß des Aktes ein volles Bergglühen hergestellt ist") gehen deutlich über die Anforderungen eines Inspizientenbuches hinaus. Bekanntlich führte Otto Brahm stets nur indirekt aus dem Hintergrund Regie, während Cord Hachmann und Emil Lessing offiziell als Regisseure des Deutschen Theaters fungierten. Von beiden standen uns keine Schriftproben zur Verfügung. Aber auf den ersten 18 Seiten sind die ursprünglichen Bleistift-Eintragungen eines anderen Schreibers offenbar von Emil Ludwig mit Tinte überschrieben worden. Dieser Umstand und die Tatsache, daß Eduard von Winterstein hinter dem Namen Kainz und Paul Biensfeldt anstelle des im März 1899 verstorbenen Hermann Müller eingetragen sind, läßt darauf schließen, daß das im Theater vorhandene Regiebuch erst nach 1898 in den Besitz von Emil Ludwig gekommen ist. Er verließ Ende der Spielzeit 1898/1899 (ebenso wie Kainz und Biensfeldt) das Deutsche Theater und ging an das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, wo auch Cord Hachmann als Oberregisseur engagiert wurde. Dort wurde aber "Die versunkene Glocke" nicht gespielt. Somit geht das Regiebuch eindeutig auf die Berliner Uraufführung des höchst erfolgreichen Stückes zurück. Es vermittelt dem Historiker ein sehr viel genaueres Bild der Inszenierung, als es jede zeitgenössische Rezension zu leisten vermag.
Herloßsohn, Carl, Leipziger Schriftsteller, Publizist und Lexikograph (1802-1849). Eigh. Brief m. U. "Herloßsohn" und Adresse. 1 S. Gr. 4to. Leipzig 23.V.1843.
An den ihm befreundeten Kreisjustizrat Dr. Straß in Berlin. Kündigt den Berlin-Besuch seines Freundes Moritz Gottlieb Saphir an, der als Humorist, Publizist, sehr umstrittener Kritiker, Lyriker und Rezitator im Berlin der 1820er Jahre durch seine Kämpfe mit Dramatikern und dem Königsstädtischen Theater stürmische Zeiten, Prozesse und Ausweisung erlebt hatte. "... Saphir, der sich Deiner herzlich erinnert und dem Du seiner Zeit in Berlin wohlwolltest, ist hier, hat mit großem Beifall Vorlesungen gegeben und will in diesen Tagen nach Berlin. Eins ängstigt ihn; er hat aus der Sonntags- und Bühnendichterzeit noch ein paar Arreste wegen Injurien abzusitzen und glaubt man würde ihm dort damit sofort auf den Hals rücken. Ich sagte ihm freilich, Injuriensachen seien seit Friedrich W. IV. Thronbesteigung amnestirt; er glaubt mir das nicht ... Die alte allbekannte Erscheinung wird gewiß jetzt bei Euch, nachdem über so Vieles das wohlthätige Gras der Zeit gewachsen ist, freundliche Theilnahme finden ...". Erkundigt sich dann nach "Fräulein Cerf", wohl einer Tochter von Friedrich Cerf, Mitbegründer und Direktor des Königsstädtischen Theaters. - Mit "Sonntags- und Bühnendichterzeit" meint Herloßsohn die Sängerin Henriette Sontag und Saphirs Pamphlet "Der getödtete und dennoch lebende M. G. Saphir, oder: Dreizehn Bühnendichter und ein Taschenspieler gegen einen einzelnen Redakteur" (Berlin 1828). Über Saphirs Berliner Kämpfe vgl. seine Briefe bei: Rainer Theobald, Alt-Wiener Zauber-, Spott- und Rühr-Spektakel, Berlin 2013, S. 52-63.
Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich, politischer Lyriker, Dichter beliebter Kinderlieder und des Deutschlandliedes, Germanist und Bibliothekar (1798-1874). Eigh. Gedichtmanuskript. 1 S. 4to. O. O. u. J.
"Willkommen, lieber Frühling!" 3 Strophen zu je 4 Zeilen: "Sei willkommen, lieber Frühling! / Sei gegrüßt viel tausendmal! / Lieber Frühling, bleib recht lange, / Lang' in unserm stillen Thal ...". - Das hübsche Gedicht erschien zuerst 1848. - Unten rechts auf dem Blatt in winziger Schrift der zeitgenöss. Vermerk: "Geschenk des Herrn E. Breslauer". - Leicht geknittert.
- Eigh. Brief m. U. "H. v. F." sowie Adresse und Siegel. 11/2 S. Gr. 8vo. Waltdorf "im Neißer Kreise" (Schlesien) 9.I.1844.
An die wohl sehr junge Emilie Milde über ein Gedicht für ihr neues Stammbuch. Der kinderfreundliche Ton Hoffmanns schlägt am Schluß in eine gewisse Bitterkeit um, wo er offenbar - vielleicht im Zusammenhang mit seinen freiheitlichen politischen Überzeugungen - an eigene leidvolle Erfahrungen denkt. "... Du hast ein Stammbuch Dir gewünscht, ich habe es Dir versprochen und sende es. Du hast Dir ein Lied von mir hineingewünscht, ich habe es Dir versprochen und eingeschrieben. Weißt Du noch, es war Marienwürmchens Klage. Das arme Würmchen! Der Sturm hatte ihm sein Haus zerstört, und der Jammer, den es darüber anstellte, bewegte auch Dein Herz. Ich kann Dir nicht sagen, wie mich das gerührt hat! Wenn das arme Würmchen das wüßte! ... Bewahre Dir dies schöne Gefühl für fremdes Leid, für fremden Schmerz! Denn solche Theilnahme ist Liebe und diese Liebe ist das reinste dauerndste Glück, was sich der Mensch hienieden bereiten kann. Das wirst auch Du erfahren, wenn Du einst in die Welt getreten bist, wenn die Tage kommen, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht, wenn uns andere für unsere Theilnahme, unsere Aufopferungen nur Leid und Schmerz bereiten, in unserm edelsten Thun und Treiben nur unlautere Absichten erblicken, unser Wesen verdächtigen, uns in ihrer Blindheit verdammen, ja uns verfolgen, als ob sie uns vernichten wollten - möge dann der Geist der Liebe Dich nie verlassen! ...". - Randschäden mit Transparentpapier unauffällig unterlegt; inhaltlich schöner Brief.
Hofmannsthal, Hugo von, österr. Dramatiker, Lyriker und Erzähler (1874-1929). Eigh. Namenszug mit Ort und Datum; auf einem Kartonblatt mit abgerundeten Ecken. Quer-8vo. Rodaun, August 1905.
Frühes Autogrammblatt. - An den Ecken Spuren ehemaliger Aufbewahrung in einem Steck-Album.
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